Inside Occupy
Abtreibung verbietet, oder Gewerkschaften, die ebenso wenig erleben werden, dass man die gesetzlichen Hürden für ihre Organisationsarbeit aus dem Weg räumt.
Die Antwort auf unsere Frage ist also: In den USA stellt es zwangsläufig einen revolutionären Akt dar, die Rolle des Geldes in der Politik zu hinterfragen, weil Bestechung zum Organisationsprinzip des öffentlichen Lebens geworden ist. Ein Wirtschaftssystem, das sich auf die Ehe von Staat und Finanzinteressen gründet, in der Geld in Macht transformiert und diese dann wieder dazu eingesetzt wird, um noch mehr Geld zu verdienen, ist für die Kernspendergruppen beider politischer Parteien mittlerweile so natürlich geworden, dass es ihnen längst als zum Wesen der Realität gehörig erscheint.
Eine der ewigen Klagen der progressiven Linken besteht darin, dass derart viele Amerikaner gegen ihre ureigensten wirtschaftlichen Interessen wählen – mit anderen Worten: aktiv republikanische Kandidaten unterstützen, zu deren Programm es gehört, alle öffentlichen Leistungen zu kürzen. Dafür gibt es mindestens zwei Erklärungen. Die eine ist ganz einfach: Die Brosamen, mit denen die Demokraten derzeit ihre »Basis« abspeisen wollen, sind auch schon derart armselig, dass man sie eigentlich nur als Beleidigung sehen kann, insbesondere wenn sie auf die für Clinton und Obama typische Argumentation hinauslaufen: »Wir kämpfen nicht wirklich für euch, aber warum sollten wir auch? Das liegt nicht wirklich in unserem Interesse, wo wir doch wissen, dass euch sowieso nichts anderes übrig bleibt, als einen von uns zu wählen.« Das könnte freilich auch ein Grund dafür sein, überhaupt nicht mehr wählen zu gehen – was die meisten arbeitenden Amerikaner ja auch nicht mehr tun. Es erklärt jedoch noch nicht hinreichend, weshalb sie die andere Seite wählen.
Die zweite Erklärung dafür liegt nicht etwa in einer Konfusion hinsichtlich ihrer ureigenen Interessen, sondern vielmehr in ihrem Unwillen gegenüber dem bloßen Gedanken, dass Eigennutz tatsächlich alles seinsollte, worum es in der Politik geht. Die Verzichtsrhetorik, das Gerede vom »gemeinsamen Opfer«, um die Kinder vor den schrecklichen Folgen staatlicher Verschuldung zu retten, mag eine zynische Lüge sein, eine weitere Masche, um noch mehr Reichtum in Richtung des 1 Prozent umzuschichten, aber wenigstens gesteht es dem Mann auf der Straße eine gewisse Würde, einen gewissen Edelmut zu. In einer Zeit, in der sich für die meisten Amerikaner kaum etwas ausmachen lässt, was die Bezeichnung »Gemeinschaft« wirklich verdiente, lässt sich mit dem gemeinsamen Opfer wenigstens etwas für die anderen – alle anderen – tun.
In dem Augenblick, in dem wir erkennen, dass die meisten Amerikaner eben keine Zyniker sind, wird die Attraktivität des Rechtspopulismus gleich viel verständlicher. Sicher, er kommt in Begleitung der übelsten Art von Rassismus, Sexismus und Homophobie daher. Aber dahinter steckt ein aufrichtiger Unwille darüber, sich der Möglichkeiten beraubt zu sehen, etwas für den anderen zu tun.
Nehmen wir zwei der vertrautesten Parolen der populistischen Rechten: ihr Hass auf die »kulturelle Elite« und die ständigen Rufe nach »Unterstützung für unsere Soldaten«. An der Oberfläche scheinen sie nichts miteinander zu tun zu haben. In Wirklichkeit jedoch sitzt ihre Verbindung sehr tief. Es mag merkwürdig anmuten, dass so viele Amerikaner aus der Arbeiterklasse saurer auf den Bruchteil des 1 Prozent sind, der in der Kulturindustrie tätig ist, als auf Ölmagnaten und Hedgefonds-Manager, aber dahinter steht eine ziemlich realistische Einschätzung der eigenen Situation: Jemand, der in Nebraska Klimaanlagen wartet, der weiß sehr wohl, dass eines seiner Kinder, so unwahrscheinlich es auch erscheinen mag, wenigstens theoretisch CEO eines Großkonzerns werden könnte. Absolut unvorstellbar jedoch ist es, dass eines ein internationaler Menschenrechtsanwalt wird oder Theaterkritiker der
New York Times
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Das wäre zunächst einmal das Offensichtlichste: Will man eine Laufbahn nicht nur um des Geldes willen einschlagen, also eine in den Künsten, in der Politik, im Journalismus oder im sozialen Bereich; will man ein Leben führen, das auf andere Werte abzielt als auf Geld, sei es die Suche nach Wahrheit, Schönheit oder Nächstenliebe – dann wird man erst einmal mindestens zwei Jahre lang partout nicht bezahlt. Wie ich nach dem Collegeabschluss selbst feststellen durfte, rückt eine
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