Inside Occupy
umstrittenen Geschichte des Begriffs »Demokratie«. Sie hat dazu geführt, dass zum Beispiel heute in Amerika der größte Teil der Politiker und Kommentatoren unter diesem Begriff eine Regierungsform versteht, deren Gestalter offen erklärten, sie hätten sie eingerichtet, um sicherzustellen, dass es nie zu den »Schrecken der Demokratie«, wie John Adams sich ausdrückte, kommen könne. 4
Die Angst der Gründerväter vor der direkten Demokratie
Die meisten Amerikaner sind sich des Umstands gar nicht bewusst, dass weder in der Unabhängigkeitserklärung noch in der Verfassung irgendwo die Rede davon ist, dass die USA eine Demokratie seien. 5 Genaugenommen waren die Mitverfasser dieser ehernen Dokumente mehrheitlich durchaus einer Meinung mit dem puritanischen Prediger John Winthrop und seinem Diktum: »Eine Demokratie gilt, unter den meisten zivilisierten Nationen, als die geringste und schlechteste aller Regierungsformen.« 6
Die meisten unserer Gründungsväter verdankten ihr Wissen zum Thema Thomas Hobbes’ englischer Übersetzung von Thukydides’
Peloponnesischem Krieg
, einem Werk also, das – wie Hobbes im Vorwort eigens betonte – als Warnung vor den Gefahren der Demokratie gedacht war. Infolgedessen verstanden sie Demokratie als eine Veranstaltung im Sinne des antiken Athen, also eine Selbstregierung durch Volksversammlungen und Mehrheitsentscheid. James Madison zum Beispiel stellte in einem seiner Beiträge zu den
Federalist Papers 7
klar, warum er diese Art von Demokratie – allein schon der geografischen Größe des Landes wegen – nicht nur für unmöglich hielt, sondern auch nicht für wünschenswert: Sie würde unweigerlich zu dauernden Querelen, zur Demagogie und letztendlich, um der Wiederherstellung von Kontrolle und Ordnung willen, zur Diktatur führen:
»Eine reine Demokratie, unter der ich eine Gesellschaft aus einer kleinen Anzahl von Bürgern verstehe, die sich versammeln und die Regierungsgeschäfte persönlich führen, kann keine Mittel bieten gegen die Schäden der Parteilichkeit … Daher rührt, dass solche Demokratien seit jeher Schauspiele von Unruhe und Hader gewesen sind; seit jeher für unvereinbar befunden wurden mit persönlicher Sicherheit oder dem Eigentumsrecht; und im Allgemeinen von ebenso kurzer Lebensdauer gewesen sind, wie sie bei all den Toten gewalttätig waren.« 8
Wie alle anderen Männer auch, die wir heute als Gründerväter kennen, bestand Madison darauf, dass die von ihm bevorzugte Regierungsform, die »Republik«, notwendigerweise ganz anderer Art war:
»In einer Demokratie kommt das Volk zusammen, um die Regierungsgeschäfte persönlich zu führen; in einer Republik versammeln sie sich und führen sie durch ihre Vertreter und Mittelspersonen. Eine Demokratie muss demzufolge auf einen kleinen Fleck beschränkt bleiben. Eine Republik lässt sich über eine weite Region ausweiten.« 9
Das mag auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen, da man den Begriff der »Republik« vom alten Rom geborgt hatte und römische Senatoren nicht gewählt wurden; sie waren Aristokraten, denen ihr Sitz durch Geburtsrecht zustand, was wiederum bedeutet, dass sie niemandes »Vertreter und Mittelspersonen« waren, sondern nur sich selbst vertraten.
Dennoch waren für die Staatsgründer repräsentative Körperschaften genau das, was sie von den Briten geerbt hatten: Die Herren der neuen Nation waren die, die – durch Abstimmung der landbesitzenden männlichen Bevölkerung – in repräsentative Versammlungen wie den Kontinentalkongress gewählt worden waren, der ursprünglich ein gewisses Maß an Selbstverwaltung unter der Autorität des Königs gestatten sollte. Als unmittelbare Folge der Revolution übertrug man die Regierungsmacht von König Georg II. auf sich selbst.
Der Brauch, Delegierte in solche Körperschaften zu wählen, war nicht neu. In England geht er mindestens zurück bis ins 13. Jahrhundert, und spätestens im 15. Jahrhundert war es Begüterten üblicherweise periodisch gestattet, ihre Stimmen – für gewöhnlich in Form kerbenverzierter Hölzchen – beim Sheriff abzugeben, um darüber zu bestimmen, wer sie im Parlament vertreten sollte. Es wäre zu der Zeit jedoch niemandem in den Sinn gekommen, dieses Verfahren mit dem Begriff »Demokratie« zu verbinden. 10 Wahlen wurden verstanden als Erweiterungen monarchischer Regierungssysteme, schließlich verfügten die gewählten Vertreter weder individuell noch kollektiv über irgendeine Art von
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