Inside Occupy
Erfahrung im horizontalen Organisieren und mit Occupy selbst erwachsen sind.
Ein Wort zum Konsens.
Na gut, Mehrere …
Es wird viel darüber diskutiert, ob Konsensentscheide in größeren Gruppen überhaupt möglich sind, wenn man denn doch wieder auf Abstimmungen zurückgreift. Viele der Debatten, die ich erlebt habe, zeichneten sich durch eine erhebliche Verwirrung darüber aus, was denn Konsens nun eigentlich sei. So hält sich etwa bei vielen hartnäckig die Annahme, es handele sich beim Konsensprozess schlicht um ein auf Einstimmigkeit beruhendes Abstimmungsverhalten. Das verfehlt, wenigstens von meiner Warte aus, völlig den Kern der Sache. Das Wesen des Konsensverfahrens besteht einfach darin, dass jeder zu gleichen Teilen zu einer Entscheidung beitragen sollte und niemand an eine Entscheidung gebunden ist, die er verabscheut. Was in der Praxis auf vier Punkte hinausläuft:
dass jeder, der über einen Vorschlag etwas Relevantes zu sagen zu haben meint, ein Recht auf eine sorgfältige kollektive Abwägung seiner Perspektive hat;
dass jeder mit starken Bedenken oder Einwänden ein Recht darauf hat, diese Bedenken oder Einwände in Betracht gezogen und, falls möglich, in der endgültigen Form des Vorschlags berücksichtigt zu sehen;
dass jeder, dessen Ansicht nach ein Vorschlag ein fundamentales Prinzip der Gruppe verletzt, die Möglichkeit zum Veto (»Block«) dieses Vorschlages haben sollte;
dass niemand gezwungen werden sollte, nach einer Entscheidung zu handeln, der er nicht zugestimmt hat.
Falls es einen Entscheidungsprozess gibt, der in einer freien Gesellschaft funktionieren könnte, so sollte er eindeutig auf diesen oder ähnlichen Prinzipien gebaut sein.
Zur Gewährleistung dieser Ziele haben im Lauf der Jahre diverse Gruppen und Individuen komplexe Systeme formaler Konsensfindung entwickelt. Aber eines formalen Prozesses bedarf es nicht notwendigerweise. Manchmal hilft einer. Manchmal nicht. Kleinere Gruppen kommen oft auch ganz ohne formale Prozeduren aus. Genau genommen gibt es eine endlose Zahl von Möglichkeiten, im Geiste der vier genannten Prinzipien zu Entscheidungen zu gelangen. In gewisser Hinsicht ist schon die Frage an sich, ob der Entscheid über einen Vorschlag in einem formalen Heben der Hände oder in einer Bekräftigung des Konsenses endet, zweitrangig; entscheidend ist der Prozess selbst. Mit einer Abstimmung abzuschließen birgt durchaus seine Probleme. Nicht etwa deshalb, weil daran wesentlich etwas falsch wäre, sondern weil mit einer Abstimmung die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass jeder seine Perspektiven auch tatsächlich gebührend in Betracht gezogen sieht. Ist diese Folge nicht gegeben, so ist daran auch nichts auszusetzen. Es ist nur so, dass die Erfahrung gezeigt hat, dass es in den meisten Fällen genau dazu eben kommt.
Lassen Sie mich das mit einigen Beispielen aus der Praxis illustrieren.
Ein Problem, vor dem sich alle neuen Gruppen sehen, ist die Entscheidung für einen Entscheidungsprozess. Braucht man eine Abstimmung darüber, ob man durch Konsens operiert, oder braucht es einen Konsens dafür, durch Mehrheitsvotum entscheiden zu sollen? Gibt es eine Rangfolge?
Hier, so denke ich, kann man schon leicht mal durcheinandergeraten, weil wir daran gewöhnt sind, in Gruppen Einheiten mit einer Art formaler Mitgliedschaft zu sehen. Wenn sich jemand bereit erklärt, einer Gruppe mit einer festen Satzung beizutreten – einer Gewerkschaft oder von mir aus auch einem Sportverein –, dann erklärt man sich allein schon durch den Beitritt auch mit den bestehenden Regeln der Gruppe einverstanden. Wenn es eine Gruppe ist, die durch Mehrheitsvotum entscheidet, dann bedeutet das, dass man sich bereit erklärt, sich an Mehrheitsentscheidungen gebunden zu fühlen. Wenn es sich um eine vertikale Gruppe mit Führungsstruktur handelt, bestätigt man mit seinem Beitritt, dass man den Anordnungen der Fähnleinführer Folge zu leisten gedenkt. Wenn man mit einer Entscheidung nicht einverstanden ist, kann man gehen. Oder man weigert sich, ihr nachzukommen, was wiederum die Gruppe dazu bringen kann, die Entscheidung zu überdenken. Aber wahrscheinlicher ist, dass das die eine oder andere Strafe, wenn nicht gar den Ausschluss nach sich zieht. Wichtig ist, dass es mögliche Sanktionen gibt – etwas, womit die Gruppe einem drohen kann.
Die Sachlage ändert sich, wenn wir von einer Menschenmenge sprechen, die sich bloß zu einer öffentlichen Versammlung bzw. einem Aktivistenmeeting
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