Inside Occupy
zusammengefunden hat. Keiner der Anwesenden hat sichzu dem Zeitpunkt zu irgend etwas bereit erklärt. Es handelt sich lediglich um eine Gruppe von Leuten auf einem öffentlichen Platz, in einem Raum. Es liegt auf der Hand, dass sie nicht durch eine Mehrheitsentscheidung gebunden sind, es sei denn, es erklären sich alle dazu bereit. Und selbst falls sie sich dazu bereit erklärt haben, es sich aber später anders überlegen, weil es zu einer Entscheidung gekommen ist, die ihnen aufstößt, kann die Gruppe kaum etwas tun. Niemand ist in einer Position, einen anderen (geschweige denn alle anderen) zu etwas zu zwingen, was ihm widerstrebt. Und wenn es sich um eine horizontale oder vom Anarchismus inspirierte Gruppe handelt, wird das auch erst gar keiner wollen.
Diese Tendenz zur Fixierung auf Wahlprozeduren zum Nachteil grundlegender Prinzipien hat auch noch eine andere Seite, und das ist die merkwürdige Ansicht – der man hin und wieder begegnet –, man könne, hat man sich einmal für den Konsensbeschluss entschieden, keine Entscheidung mehr durch Mehrheitsbeschluss fällen. Das ist albern. Ganz offensichtlich ist die Aufforderung zum Handhochheben nicht selten die beste Möglichkeit, sich entscheidende Informationen zu verschaffen wie etwa: »Wenn wir uns am Montag um 13 Uhr treffen, wie viele von euch könnten da kommen?« Ähnliches gilt für eine technische Angelegenheit, bei der keine Grundsatzdebatten anzunehmen sind (»Sollen wir die Frage für den Augenblick aufschieben?«, »Treffen wir uns am Dienstag oder am Mittwoch?«). Hier sollte der Moderator einfach fragen können, ob alle bereit sind, sich in dieser Frage einem Mehrheitsbeschluss zu fügen, damit die Sache erledigt ist. Öfter freilich wird ein Moderator einfach um Handmeldung zu einer »unverbindlichen Probeabstimmung« oder einem »Temperaturcheck« bitten, nur um ein Gespür dafür zu bekommen, wo die Versammelten gefühlsmäßig stehen. Das kann durch schlichte Handmeldungen erfolgen, um zu zeigen, man ist dafür, oder aber auch durch ein differenzierteres System, bei dem jeder, der einverstanden ist, mit erhobenen Fingern wedelt, mit gesenkten, wenn nicht, und mit horizontalen Handbewegungen, wenn er sich nicht sicher ist. Auch wenn sie unverbindlich sind, können uns solche Proben all die Informationen liefern, die wir brauchen: Wenn sich dann eine starke Abneigung gegen einen Vorschlag zeigt, könnte ihn der, der ihn gemacht hat, einfach zurückziehen.
Wenn es um wichtigere Fragen geht, gewinnen auch die vier Prinzipien an Bedeutung. Ich beschreibe im Folgenden ein standardisiertes Verfahren in vier Schritten, das sich im Lauf der Jahre entwickelt und immer wieder als ziemlich brauchbar erwiesen hat. Damit lässt sich gewährleisten, dass ein Vorschlag beständig im Geiste von Kompromiss und Kreativität umgestaltet werden kann, bis er mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit für jeden tragbar ist. Noch einmal: Es besteht wirklich keine Notwendigkeit,hier dogmatisch zu werden; es sind viele Varianten möglich. Vor allem sollte man immer daran denken, dass die Anwesenden sich zwar durch ihr Kommen für gewisse Grundprinzipien ausgesprochen, sich aber keineswegs auf bestimmte formale Regeln hinsichtlich des Vorgehens geeinigt haben. Im Allgemeinen jedoch geht das Verfahren in etwa so:
1. Jemand macht einen Vorschlag zu einer bestimmten Vorgehensweise.
2. Der/die Moderator/in bittet um klärende Fragen , um sicherzustellen, dass auch jeder genau verstanden hat, worum es bei dem Vorschlag geht.
3. Der/die Moderator/in bittet um Bedenken:
a. Während der Diskussion können die Leute mit Bedenken » Verbesserungen im Sinne des Vorschlags « machen, die ihren Bedenken Rechnung tragen, die derjenige, der den ursprünglichen Vorschlag gemacht hat, übernehmen kann oder nicht.
b. Es kann zu einem Temperaturcheck hinsichtlich des Vorschlags, einer Verbesserung oder der Stichhaltigkeit der geäußerten Bedenken kommen oder auch nicht.
c. Hier kann der Vorschlag erstickt, umformuliert, mit anderen Vorschlägen kombiniert, aufgeteilt oder zur späteren Diskussion verschoben werden. Wenn ein Vorschlag so weit scheint, dass ein Konsenscheck sinnvoll ist.
4. Nimmt der/die Moderator/in einen Konsenscheck vor, indem er/sie fragt
a. ob jemand beiseitetreten möchte. Beiseitezutreten kommt einer Enthaltung gleich, man sagt damit: »Mir schmeckt der Vorschlag nicht, und ich würde auch an der Aktion nicht teilnehmen, möchte aber niemanden davon
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