Inside Occupy
Mein persönlicher Favorit unter den Leitfäden zu Moderation und Konsensverfahren ist der von Starhawk 7 , aber es gibt sie für jeden Geschmack. Ebenso wenig ist das hier der Ort, um sich in laufende Debatten über die jeweiligen Vorzüge verschiedener Organisationsmodelle einzumischen, etwa Vollversammlung vs. Sprecherrat, oder wie sich solche Modelle zur Organisation einer basisdemokratischen Gesellschaft an sich abändern ließen. Auch möchte ich hier nicht auf die – tatsächliche oder potenzielle – Rolle der elektronischen Medien eingehen. Ich beschränke mich stattdessen auf einige praktische Überlegungen zu und auf kursierende Missverständnisse über die Grundprinzipien in der Hoffnung, dem interessierten Leser beim eigenen Erkenntnisprozess eine Hilfe zu sein.
Ein paar FAQ
Frage:
Aber läuft denn dieses ganze »Konsensverfahren« nicht letztlich auf die unausgesprochene Manipulation durch eine Führungsclique hinaus?
Antwort: Wenn man nach Konsens ohne Regeln vorgeht, durchaus, dann wird sich letztendlich unausgesprochen eine Führungsgruppe herausbilden – jedenfalls in dem Augenblick, in dem Ihre Gruppe mehr als acht, neun Leute umfasst. Jo Freeman 8 hat darauf bereits in den Siebzigern, während der frühen Jahre der Frauenbewegung, hingewiesen. Was die meisten Kritiker nicht wissen, ist, dass das, was wir heute als »Konsensprozess« bezeichnen, in der Hauptsache als Reaktion auf Freemans Kritik erarbeitet wurde.
Die Rolle des Moderators ist hier ein gutes Beispiel. Einen mangelhaften Prozess erkennt man auf der Stelle daran, dass ein und dieselbe Person (a) das Meeting leitet und (b) alle Vorschläge macht. Eine anarchistische – oder wenigstens vom Anarchismus inspirierte – Gruppe ist immer von dem Einvernehmen beseelt, dass der/die Moderator/in selbst keine Vorschläge macht. Er/sie ist einzig zum Zuhören da; er/sie wird das Medium, durch das die Gruppe denken kann. Für gewöhnlich ist selbst die Rolle des Moderators noch auf mehrere Personen verteilt: Eine Person sorgt für den Fortgang des Meetings, eine andere führt die Liste der Wortmeldungen, eine dritte sorgt dafür, dass jeder innerhalb seiner Redezeit bleibt, ein »Vibes-Watcher« checkt die Stimmung unter den Anwesenden, auf dass der Energiepegel nicht sinkt und sich keiner ausgeschlossen fühlt. Diese Arbeitsteilung erschwert es einem Moderator erheblich, die Debatte – und sei es auch nur unbewusst – zu manipulieren. Außerdem arbeiten Moderatoren im Rotationsprinzip, und es ist von ausschlaggebener Bedeutung, hier die Balance zwischen den Geschlechtern zu halten, so, wie man auch bei der Liste der Wortmeldungen auf entsprechende Ausgewogenheit achten muss.
All das bedeutet nicht, dass es nicht zu Cliquen kommt, schon gar nicht in großen Gruppen, oder dass einige weit mehr Einfluss haben werden als andere. Hier ist stete Wachsamkeit angesagt.
Aber wenn du schon selbst sagst, dass es zur Bildung solcher einflussreichen Cliquen kommt, wäre es dann nicht besser, von vorneherein dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es nun mal Anführer gibt, und für eine formelle Führung zu sorgen? Das wäre doch wohl besser als eine heimliche Führung, die nicht rechenschaftspflichtig ist?
Eben nicht. Leute, die sich mehr einsetzen, werden natürlich mehr Einfluss haben. Daraus ergibt sich ein gewisser Vorteil für die, die mehr Zeit aufwenden können. Es wird nicht ausbleiben, dass einige ihre Bemühungen koordinieren, was wiederumbedeutet, dass nicht alle im selben Maß Zugang zu Informationen haben. Dies ist ein echtes Problem. In jeder egalitären Gruppe werden gerade Informationen tendenziell zur begrenzten Ressource: Wenn es zu Hierarchien kommt, dann liegt das daran, dass einige Aktivisten Mittel und Wege haben, herauszufinden, was vor sich geht, andere nicht. Das offiziell zu machen, indem man die mit privilegiertem Zugang zu Informationen in aller Form zu »Anführern« erklärt, wird das Problem nicht lösen, sondern nur verschlimmern. Die einzige Möglichkeit, sicherzustellen, dass sie nicht zu einer Gruppe in der Gruppe werden, die – selbst ohne bewusste Absicht – allen anderen ihren Willen aufzwingt, besteht darin, stets dafür zu sorgen, dass Informationen so allgemein wie nur möglich verfügbar sind, und ständig alle daran zu erinnern, dass sie – gerade wegen der fehlender Führungsstruktur – nicht das Recht haben, anderen ihren Willen aufzuzwingen.
Selbst wenn man einräumt, dass das Konsensverfahren
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