Inside Occupy
Handlungsweise die Wahrscheinlichkeit eines Eingreifens der Polizei erhöhe und dadurch Kinder gefährde, selbst gewalttätig sei! Polizei und Stadtrat wiederum sahen, dass im Camp keine Einigkeit mehr herrschte und die, denen es ernster war mit dem Gedanken des zivilen Ungehorsams, an den Rand gedrängt waren. Sie erkannten, dass sie wieder die Oberhand hatten, und begann uns umgehend alle möglichen Restriktionen aufzuerlegen: keine Tische aufstellen, keine Essensausgabe, keine Übernachtungen … Binnen weniger Wochen war der Besetzung die Luft ausgegangen und der Platz vor dem Rathaus geräumt.
Diese Geschichte lohnt die Ausführlichkeit, weil sie gar so deutlich macht, dass es hier nicht um die Rechtsordnung geht, sondern um ein situatives Kräftemessen zwischen den Demonstranten und der Polizei. Letztere kann immer mit physischer Gewalt drohen, und die einzige Art und Weise, dem zu begegnen, ist die moralische Kraft, und moralische Kraft hat in erster Linie auf Solidarität zu bauen. In dem Augenblick, in dem auch nur einzelne Teilnehmer an einer Aktion das Gefühl haben, ihre moralische Verpflichtung gegenüber denen, die mit einem Angriff drohen, sei größer als die gegenüber ihren Mitstreitern, ist das Spiel im Grunde verloren.
Am besten sieht man Besetzungen und Straßenaktionen als eine Art Krieg. 12 Ich weiß, das hört sich extrem an, aber ich habe lange genug darüber nachgedacht und praktische Erfahrungen gesammelt, um zu dem Schluss zu kommen, dass sich das, was da passiert, treffender nicht beschreiben lässt. Und diese Einsicht, das möchte ich hier ausdrücklich betonen, läuft keinesfalls auf einen Aufruf zur Gewalt hinaus. Abgesehen davon, dass es immer das Beste ist, wenn niemand zu Schaden kommt, ist Gewalt gegenwärtig in den USA nun wirklich nicht die einzige Option. 13 Aber jeder Konflikt hat zwei Seiten, und bei jeder Aktion auf der Straße rückt die eine Seite an wie für einen Krieg gerüstet. Bewaffnet, mit Sondereinsatzkommandos und Rückendeckung durch Hubschrauber und Panzerfahrzeuge, signalisiert diese Seite von vorneherein unmissverständlich ihre Bereitschaft, zur Durchsetzung politischer Ziele Gewalt einzusetzen. Auf der anderen Seite hängt es im Allgemeinen nicht von den Organisatoren einer genehmigten Demonstration ab, ob es tatsächlich zu Gewalttätigkeiten kommt. Keine Frage, Sachbeschädigung und Brandsätze als Auftakt zu einer Demo sind die beste Garantie dafür, dass die Polizei mit Gewalt und Handschellen reagiert. Aber allzu oft kommt es dazu so oder so. Genau genommen ist die Wahrscheinlichkeit dafür womöglich geringer bei einer Demonstration, bei der die Polizei mit schwerer Gewalt seitens der Demonstranten rechnet, als bei einer, bei der man davon ausgehen kann, dass es keinerlei Widerstand gibt. Das hängt von einer ganzen Reihe verschiedener Faktoren ab: der Gewaltbereitschaft der Demonstranten, den beteiligten Gruppen, den Medien, der Bedeutung der betroffenen Einrichtungen. Die Einsatzregeln zwischen Besetzern und Polizei werden ständig neu ausgehandelt.
Einige Beispiele aus dem Zuccotti Park mögen das illustrieren:
Am ersten Tag der Besetzung nahm man zwei junge Besetzer fest, weil sie vor einer Filiale der Bank of America auf der anderen Seite des Lagers demonstriert hatten. Sie hatten nichts weiter getan als »Die Banken haut man raus, uns reitet man rein!« zu skandieren. Verhaftet wurden sie aufgrund eines obskuren Gesetzes aus dem 18. Jahrhundert, dessen Wortlaut nach eine Gruppe von mehr als vier Personen mit wenigstens zwei Maskierten verhaftet werden kann. Nicht dass jemand maskiert gewesen wäre, aber der Beamte erklärte, dass zwei Leute Halstücher trugen, die als Masken benutzt werden
könnten
. Die Festnahme war ganz offensichtlich illegal, aber gerade darum ging es der Polizei. Der Akt sollte uns signalisieren, dass man sich auch unrechtmäßiger Gewalt bedienen würde, und zwar gegen alles, was auch nur so aussah, als könnte es zu einer Bedrohung für Konzerneigentum werden. Tags darauf wurde das gar noch deutlicher, als ein Beamter zwei Besetzer festnahm,weil sie mit Kreide Slogans auf den Gehsteig schrieben. Als von allen Seiten darauf hingewiesen wurde, dass das in New York nicht verboten sei, meinte der Beamte grinsend: »Ja, ich weiß.«
Einem Journalisten zufolge, der während der ersten Tage von Occupy Wall Street zahlreiche Polizeibeamte und Vertreter der Stadt interviewte, machte den Verantwortlichen vor allem eines Sorgen:
Weitere Kostenlose Bücher