Inside Occupy
einfuhren). Falls es Demonstrationsleiter gibt, teilt man ihnen als Allererstes mit, dass sie selbst nicht in die Pferche müssen, aber sie hätten dafür zu sorgen, dass alle anderen drin bleiben. Anders gesagt, in dem Augenblick, in dem eine Autoritätsstruktur existiert, wird die Polizei denen, die ihr angehören, auf der Stelle spezielle Privilegien gewähren (die sie für gewöhnlich gerade frei erfunden hat). Ziel ist es, solche »Ordner« zur Erweiterung ihrer eigenen Autorität, zur inoffiziellen Erweiterung ihrer eigenen Befehlskette umzu funktionieren . Ich erfuhr das am eigenen Leib, als ich mich freiwillig als Demoleiter gemeldet hatte. Die Weigerung, andere Demonstranten in die Pferche zu treiben, führt auf der Stelle zu Vorwürfen wie »Sie machen Ihre Arbeit nicht!« – als sei man als Demoleiter automatisch freiwilliger Handlanger der Polizei.
Gibt es in der Gruppe keine Autoritätsstruktur, wird der Einsatzleiter der Polizei unweigerlich eine zu schaffen versuchen. Kontaktleute werden mit speziellen Privilegien ausgestattet und die Einsatzleitung wird informelle, außerrechtliche Vereinbarungen mit ihnen treffen, die sie – wenn möglich macht man daraus eine Frage der Ehre – durchsetzen sollen, und das in dem Wissen, dass andere mit De-facto-Autorität sie unterstützen müssen. Letztendlich führt das allmählich zu einer hierarchischen Struktur.
Hier noch eine weitere Erfahrung, diesmal von der anderen Seite. Während der ersten Tage von Occupy Austin meldete sich bei einer der ersten Vollversammlungen ein Aktivist freiwillig als Kontaktmann zur Polizei. Ich habe ihn als libertären Hippie mit Dreadlocks und Hang zur Meditation in Erinnerung, der mit fast allen Kernmitgliedern des Moderatorenteams befreundet zu sein schien. Der Vorschlag fand zwar keine Billigung, aber er entschloss sich, die Rolle dennoch anzunehmen. Mit das erste Problem waren die Zelte. Wir wollten uns vor dem Rathaus einrichten, aber könnten wir dort tatsächlich campieren? Die rechtliche Lage war nicht eindeutig. Einige der Besetzer versuchten es. Drohend tauchte die Polizei auf. Die meisten von uns stellten sich, zum zivilen Ungehorsam bereit, um das erste aufgeschlagene Zelt. Sofort trat unser selbsternannter Kontaktmann in Aktion, suchte den Einsatzleiter der Polizei auf und kam nach einer Weile wieder mit der Mitteilung, einen Kompromiss ausgehandelt zu haben: Wir könnten das eine Zelt – sozusagen symbolisch – stehen lassen, solange wir nicht noch weitere aufstellen.
Die Besetzer glaubten überwiegend, es ginge der Polizei nur darum, das Gesicht zu wahren; sie würde gewiss nicht über friedliche Camper herfallen, jedenfalls nicht gleich am ersten Tag; eher wollte sie ein Gespür dafür bekommen, wie weit unsere Bereitschaft zum Widerstand ginge. Also entschied tags darauf eine kleine Gruppe erfahrener Aktivisten,dass wir tunlichst unser zurückerobertes Terrain so konfrontationsfrei wie irgend möglich auszuweiten versuchen sollten. Sie stellten diskret neben dem ersten ein zweites kleines Zelt auf. Man wächst stückweise, weitet die Grenzen nach und nach aus. Das war auch im Zuccotti Park unser Ansatz gewesen, und er hatte sich als durchaus erfolgreich bewährt. Hier jedoch sahen sich die Aktivisten, die das Zelt aufgestellt hatten, sofort von Freunden unseres selbst ernannten Kontaktmanns bestürmt: Sie brächen das Vertrauen, das der Einsatzleiter der Polizei am Tag zuvor in ihn gesetzt hätte. Der »Vibe-Checker« bediente sich auf der Vollversammlung des Menschenmikros, um uns sozusagen kollektiv aufzufordern, das Zelt wieder abzubauen, eine Frau versuchte die Polizei dazu zu bekommen, uns zu verhaften; die schien das Zelt nicht im Geringsten zu interessieren. Ein Mann tauchte auf und erklärte: »Ich war im Krieg, und ich reiße das Zelt jetzt ab!« Die Aktivisten gingen im passiven Widerstand in den Schulterschluss. Der Mann hörte erst auf, sich an ihnen vorbei zum Zelt durchdrängen zu wollen, als klar wurde, dass er damit ein kleines Kind gefährden würde, das sich im Zelt befand. Auch wenn unsere Camp-Security die offene Konfrontation entschärfen konnte, wurde das Zelt alsbald wieder abgebaut; danach versuchte man es nicht noch einmal.
Schließlich ignorierte das Moderatorenteam dann auch noch den Vorschlag, wenigstens das Prinzip durchzusetzen, gewaltfreien Besetzern nicht mit Gewalt oder Verhaftung zu drohen. Man begegnete den Schlichtern mit dem Einwand, dass jeder, der durch seine
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