Inside Occupy
die Anwesenheit von Angehörigen des Hacker-Kollektivs Anonymous im Zuccotti Park, die in Guy-Fawkes-Masken erschienen waren. Nach Aussage des Journalisten hatte man tatsächlich Angst, Anonymous würde einfach ihre Banken und Kreditkartenkonten hacken, wenn man das Lager stürmte und die Demonstranten vertrieb. Nicht zuletzt diese Befürchtungen hatten sie von der sofortigen Räumung des Lagers abgehalten.
Bürgermeister Bloombergs erster Versuch, der Besetzung des eben umgetauften Liberty Parks ein Ende zu machen, erwies sich als peinlicher Fehlschlag. Das war am 14. Oktober 2011. Nach Bekanntgabe seines Plans, den Park für »Aufräumungsarbeiten« räumen zu lassen, machten die Aktivisten an allen möglichen Fronten mobil: Tausende kamen, um das Lager nötigenfalls mit Mitteln bürgerlichen Ungehorsams zu verteidigen, aber gleichzeitig setzten Juristenteams einstweilige Verfügungen auf; man mobilisierte potenzielle Sympathisanten bei Medien und Gewerkschaften sowie andere Verbündete aus der Legislative der Stadt. Worauf der Bürgermeister schließlich zum Rückzug blies. Es war eindeutig, dass es keine Einzelmaßnahme, sondern das gemeinsame Gewicht so vieler verschiedener Ansätze war, das ihn dazu gezwungen hatte.
Der nächtliche Überfall vom 12. November, mit dem man den Park schließlich räumte, scheint Ergebnis einer landesweiten politischen Entscheidung gewesen zu sein. Er war als Überraschungsangriff aufgezogen, die Übermacht überwältigend, sämtliche Medien sahen sich vom Schauplatz verbannt. Außerdem setzte man sich über das Gesetz hinweg. Die Räumung hatte um ein Uhr morgens begonnen, um zwei hatte das Juristenteam der Besetzer eine richterliche Anordnung erwirkt, sie bis zur Klärung der rechtlichen Fragen zu stoppen; Bloomberg ignorierte die Anordnung des Gerichts einfach, bis er einen anderen Richter aufgetrieben hatte, der anders entschied. Während des Zeitraums, in dem der Überfall praktisch rechtswidrig war, wurde die Bibliothek des Liberty Parks systematisch zerstört.
Diese Beispiele machen besonders deutlich, dass wir es hier mit einem Ringen politischer Kräfte zu tun haben, bei dem das Gesetz außen vor bleibt. Soweit die Polizei dazu in der Lage ist, wird sie – wie in Austin – auf die Androhung von Gewalt gestützte Vereinbarungen aushandeln, bei denen es mitnichten um Gesetze oder Stadtverordnungen geht. Gelingt ihr das nicht, wie in New York, so macht man als Erstes jedem Beteiligten klar, dass man auch rechtswidrige Festnahmen vornehmen wird. Daszweite Beispiel illustriert darüber hinaus, dass die Kraftlinien durchaus nur in der Fantasie existieren können – Hacker sind nicht wirklich zu all dem in der Lage, was man sie im Kino tun sieht –, aber das politische Spiel ist nun einmal größtenteils ein Krieg psychologischer Bluffs und Finten. Dass es dabei auch ein moralischer Konflikt sein kann, tut nichts zur Sache. Und wie das letzte Beispiel zeigt, können lokale Siege sich durchaus als vorübergehend erweisen, wenn es einem nicht gelingt, dieselben Kräfte auch auf nationaler oder gar internationaler Ebene zu mobilisieren.
Ich werde hier nicht auf das Für und Wider der einen oder anderen Variante von Gewaltlosigkeit eingehen. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass bei Diskussionen innerhalb der Bewegung eigentlich nie wirklich die Gewaltlosigkeit an sich zur Debatte steht, sondern nur ihre jeweilige Form. Und deshalb möchte ich hier lieber einige Prinzipien vorschlagen, über die wir bei taktischen Erwägungen mehr als bisher nachdenken sollten.
Zunächst müssen wir im Falle taktischer Überlegungen auf breiterer Basis nicht nur daran denken, welche Art gesellschaftlicher Arrangements eine wahrhaft demokratische Gesellschaft erlauben würden, sondern auch, welche Art von Taktiken uns die demokratische Natur der Bewegung beizubehalten erlaubt. Diese Frage wird selten so formuliert, aber genauso sollte es sein. Ein Beispiel einer gesellschaftlichen Bewegung, die sich diese Frage ganz explizit stellte, war die bereits angesprochene Volkserhebung in Oaxaca von 2006. Hier kam man zu dem Schluss, dass sowohl die Strategie des bewaffneten Aufstands als auch die Gandhi’scher Gewaltlosigkeit charismatischer Führer und einer militärischen Disziplin bedürfe, worin die letztendliche Unterminierung der partizipativen Demokratie bereits angelegt sei.
An zweiter Stelle folgt eine praktische Überlegung. Der Mittelweg zwischen tatsächlichem Aufstand und
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