Inside Occupy
Öffentlichkeit ernsthaft gefährden, zu verletzen oder zu traumatisieren.
Polizisten mögen also als Individuen Teil der 99 Prozent sein. Als institutionelle Struktur hingegen ist die Polizei die fundamentale Stütze der gesamten institutionellen Gewalt, die Reichtum und Macht des einen Prozent überhaupt erst möglich macht. Infolgedessen ist überhaupt nichts daran auszusetzen, dem individuellen Polizisten mit derselben freundlichen und respektvollen Art zu begegnen wie jedem anderen auch. Es ist sogar völlig richtig, nicht nur weil man überhaupt jedem Menschen freundlich und mit Respekt begegnen sollte, sondern auch aus einer strategischen Perspektive, denn wenn Regime fallen, wenn Revolutionäre tatsächlich den Sieg davontragen, dann liegt das immer daran, dass das Militär und die Polizei sich weigern, auf sie zu schießen. Bei diesen Überlegungen allerdings geht es ums Endspiel. Vorerst sollten wir immer daran denken, dass wir kaum je in die Nähe dieses Endspiels kommen werden, wenn wir uns mit der Polizei als institutioneller Struktur einlassen und innerhalb der übergeordneten Machtstruktur bleiben, für die sie steht.
Ich spreche wohlgemerkt von der »Machtstruktur«, nicht von »Legalität«. In den meisten Fällen spielt Legalität kaum eine Rolle. Immerhin wird fast jeder Aspekt unseres Lebens nominell durch Gesetze und Verordnungen regiert, deren wir uns größtenteils noch nicht einmal bewusst sind. Fast jeder Amerikaner verstößt gegen zehn, zwanzig Gesetzeam Tag, einfach so, ohne sich darüber einen Kopf zu machen. Wenn ein Polizist wirklich einen beliebigen Bürger aufmischen wollte (ihm in die Hoden treten, einen Zahn ausschlagen, den Daumen brechen), er würde in fast jedem Fall einen rechtlich vertretbaren Grund dafür finden. Es ist sogar ein berüchtigtes Aktivistenparadox, dass die Polizei weit größeren Ermessensspielraum für willkürliche Gewalt hat, wenn sie das Opfer letztlich gar keines Verbrechens überführen will. Wenn das Opfer sich nämlich tatsächlich etwas zuschulden hat kommen lassen und der Fall schließlich vor Gericht landet, könnte jeder Regelverstoß durch den die Verhaftung vornehmenden Beamten die Verurteilung gefährden. Geht es dagegen der Polizei ohnehin nicht um eine Verurteilung (etwa weil das Opfer ganz offensichtlich nichts getan hat), steht von rechtlicher Seite aus einer physischen Misshandlung nichts im Weg. Das Schlimmste, was einem Polizisten, der ausrastet, passieren könnte – und das auch nur im Falle eines landesweiten Skandals –, wären ein paar Wochen Gehaltseinbußen. Aus diesem Grund kann die Polizei, falls sie unausgesprochene »Rassencodes« durchsetzen möchte (etwa durch das Schikanieren von Afroamerikanern, die im »falschen« Viertel gelandet sind), das völlig legal tun, einfach indem sie Bestimmungen durchsetzt, die bei Weißen nicht durchgesetzt werden. Ähnliches gilt für Aktivisten.
Dass das Gesetz herzlich wenig mit alledem zu tun hat, wird in dem Augenblick deutlich, in dem Angehörige einer Gruppe sich tatsächlich mit der Polizei als institutioneller Struktur einlassen. Und dazu kommt es, wenn sie eine Kontaktperson bestimmen und Verhandlungen aufnehmen. Ginge es nur darum, sich im Rahmen des Gesetzes zu bewegen, was gäbe es dann zu verhandeln? Es ginge dann allein um den Austausch von Informationen darüber, wie die gesetzlichen Bestimmungen aussehen und was die Besetzer oder Demonstranten zu tun gedenken – dann könnte sich die demonstrationswillige Öffentlichkeit von der Polizei beschützen lassen. Natürlich kommt es nie so. Im Gegenteil, das Erste, was die Polizei machen wird, ist, eine Reihe spontaner Regeln aufzustellen, die zu nichts Weiterem dienen, als schiere willkürliche Macht in irgendeine autoritäre Struktur umzusetzen: Sie dürfen dich schlagen, du darfst sie nicht schlagen; sie können dich verhaften, du sie nicht.
Lassen Sie mich Ihnen ein besonders deutliches Beispiel geben. Bei der New Yorker Polizei ist es üblich, Metallabsperrungen zu kleinen Pferchen zusammenzustellen und Streikende oder Demonstranten darin einzukesseln. Für Demonstranten ist das ausgesprochen demoralisierend. Es ist außerdem ziemlich offensichtlich verfassungswidrig. Und die Polizeioberen scheinen sich dessen durchaus bewusst zu sein – zumindest hat man meines Wissens nach noch nie jemanden verhaftet, weil er nicht reinwollte (obwohl Demonstranten, die sich weigerten, gelegentlich anderer,frei erfundener Vorwürfe wegen
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