Inside Occupy
ritualisierter Gewaltfreiheit im Sinne Gandhis ist auch eine Zone maximaler Kreativität und Improvisation, die uns nur nützlich sein kann. Auf der Straße ist Kreativität unser größter taktischer Vorteil. Aus eben diesem Grund waren die Clowns, die Spiraltanzrituale und die federwischbewehrten Mädchen im Ballettröckchen während des Global Justice Movement so effektiv. Die Polizei (und ich spreche hier wieder von der Polizei als Institution, nicht von einzelnen Polizeibeamten) ist nicht sehr helle. Das gilt vor allem dann, wenn sie massenhaft und in Schutzausrüstung auftritt. In solchen Situationen besteht die beste Methode zum Sieg über die Polizei in einem Verhalten, auf das zu reagieren man ihr nicht beigebracht hat. Es sind dies nun mal die Kosten militärischer Disziplin, die es ansonsten anständigen Menschen erlaubt, in stockschwingender Formation auf friedliche Demonstranten loszugehen: Um tun zu können, was einem gesagt wird,muss man damit einverstanden sein, ausschließlich das zu tun, was einem gesagt wird. Eine andere Seite dieser Kosten besteht darin, dass die für die Ausbildung der Bereitschaftspolizei Zuständigen das Gefühl zu haben scheinen, man müsse Polizisten, um ihnen Gewaltbereitschaft gegenüber Aktivisten anzutrainieren, nicht etwa auf die Taktiken vorbereiten, denen sie aller Wahrscheinlichkeit nach begegnen werden, sondern auf Formen extremer Gewalt, deren Aktivisten sich so gut wie nie bedienen. So brachten die Trainingsteams, die man in den Vereinigten Staaten im Gefolge von Seattle in die Städte entsandte, in denen demnächst irgendwelche Handelskonferenzen stattfinden sollten, der örtlichen Polizei den Umgang mit Aktivisten bei, die angeblich Molotowcocktails, menschlichen Kot und säure- oder ammoniakgefüllte Glühbirnen werfen oder mit uringefüllten Wasserpistolen um sich schießen würden. Tatsache ist, keiner der Aktivisten von Seattle oder irgendeines späteren Gipfels hat jemals dergleichen getan.
Es hat also ganz den Anschein, als hielten die Kommandeure es für wichtiger, ihre Beamten davon zu überzeugen, es mit marodierenden Banden zu tun zu bekommen, als sie auf Taktiken vorzubereiten, denen sie tatsächlich begegnen würden. So kam es, dass für viele Polizisten, als denn so weit war, sich die Realität als überaus verwirrend erwies. Sie wussten sich nicht anders zu helfen, als pausenlos per Funk Anweisungen einzuholen. Bei mehr als einer Gelegenheit konnte ich beobachten, wie Gruppen umzingelter Aktivisten sich der Verhaftung entziehen konnten, weil die Phalanx der Polizei verwirrt auseinanderbrach, wenn plötzlich eine Theatertruppe auftrat oder sich ein Clown auf einem Hochrad einmischte. Bei anderen Gelegenheiten habe ich erlebt, wie Reihen von Bereitschaftspolizisten, die eben noch methodisch eine Gruppe von Aktivisten zurückgedrängt hatten, plötzlich wie vom Schlag getroffen innehielten, als die Aktivisten nichts weiter taten, als sich alle gleichzeitig hinzusetzen.
Drittens formulieren wir das Problem politischer Macht wie auch das von mir beschriebene Ringen der Kräfte am besten mit folgender Frage: Wie wäre ein Raum zu schaffen, in dem derlei kreative Formen gewaltfreier Aktion tatsächlich möglich sind?
Bezeichnend ist hierfür ein Beispiel aus Mexikos jüngster Geschichte: der Aufstand der Zapatistas 1995 in Chiapas. Wir sprechen hier von einer Gegend, in der es der indigenen Bevölkerung jahrhundertelang schlicht unmöglich war, politisch mobil zu machen, ohne sofort ihre Organisatoren verhaftet, gefoltert oder ermordet zu sehen. Im Januar 1994 nahmen Aufständische, überwiegend indianischer Abstammung, die Provinzhauptstadt ein und lieferten sich zwölf Tage lang Feuergefechte mit dem mexikanischen Militär. Der Krieg endete vorerst mit einem Waffenstillstand,auf den hin die Rebellen ihre Waffen versteckten und eine Kampagne zur Organisation autonomer, selbstverwalteter Gemeinden starteten. Seither engagieren sie sich in Form von Taktiken direkter Aktionen gegen lokale Eliten und den mexikanischen Staat. Mit anderen Worten: Sie setzten gerade so viel offene Gewalt ein, wie sie mussten, um sich eine Position zu verschaffen, in der Gewalt nicht mehr nötig war.
Gewalt ist relativ langweilig und vorhersehbar, auch wenn Hollywood-Filme und Computerspiele fest entschlossen zu sein scheinen, uns etwas anderes einzubläuen. Deshalb ist Gewalt historisch gesehen auch immer die bevorzugte Taktik der Dummen. In dem Augenblick, in dem man die
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