Inside Occupy
gesehen hat, wer von euch das gewesen ist. Vielleicht verdrückt ihr euch mal für ’ne halbe Stunde und kommt dann wieder. Wenn er dann behauptet, er wüsste,wer’s gewesen ist, dann kann ich ihm sagen: ›Woher woll’n ’se das denn jetzt wissen, wenn Sie’s vorher nicht gewusst haben?‹« (Die Ironie an dieser Situation war, dass eine Menge der Streikposten Veteranen des Black Bloc in ihrer typischen schwarzen Kleidung waren, einige hatten sogar anarchosyndikalistische Fahnen dabei.) Und die Kehrseite: Als tags darauf der Inhaber des Lagerhauses den Einsatzleiter schmierte, vertrieben uns die Polizisten mit Stöcken, obwohl der Streik absolut legal war. Es kam zu mehreren Blessuren.
In einer von Konzernen beherrschten Stadt wie New Haven fasst man selbst Studentenaktivisten mit Samthandschuhen an, wenn sie gegen die dortige Yale Universität protestieren, weil man bei ihnen von einer Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften ausgehen kann. Im Prinzip geht es immer dann milder zu, wenn die Polizisten Ermessensspielraum haben, wenn es sich um einen einzelnen Beamten oder einen Einsatzleiter unteren Rangs mit nur wenigen Leuten handelt. In New York haben die Besetzer rasch festgestellt, dass selbst innerhalb der Polizei eine scharfe Klassentrennung herrscht. Viele Streifenbeamte – oder Blue Shirts – brachten ihre Sympathien für uns zum Ausdruck, standen sogar hinter uns. Mit den White-Shirts – wie die leitenden Beamten genannt werden – verhielt sich das ganz anders; viele von ihnen stehen direkt auf der Lohnliste der Wall-Street-Firmen. Aber selbst das geht am Thema vorbei, will sagen: Wenn es ernst wird, führen auch sie nur Befehle aus.
»Umgang mit der Polizei« bedeutet nicht, mit einzelnen Beamten vertraulich zu werden (auch wenn es immer einzelne Demonstranten, Besetzer, ja sogar Black-Bloc-Anarchisten gibt, die das machen, ohne dass man sie daran hindern könnte). Aber »die Polizei« ist nun mal keine Ansammlung von Individuen, die nach persönlichen Gefühlen, Gutdünken oder moralischen Urteilen handeln. Sie sind eine Gruppe staatlicher Funktionäre, die sich im Rahmen ihrer Arbeit bereit erklärt haben, ihre persönliche Gefühle und Ansichten – jedenfalls in allen Situationen, in denen sie direkte Befehle bekommen – beiseitezustellen und zu tun, was man ihnen sagt. Sie sind Teil eines durch eine hierarchische Befehlsstruktur gekennzeichneten Apparates, und selbst die höchsten Ränge mit dem größten Ermessensspielraum sind nur dazu da, die Befehle von Politikern auszuführen, denen sie zu gehorchen haben. Unter solchen Umständen sind ihre persönlichen Gefühle absolut irrelevant.
Ich habe bei den WTO-Demonstrationen in Seattle mit vielen Aktivisten gesprochen, die Bereitschaftspolizisten hinter ihrem Visier haben heulen sehen, so erschüttert waren sie, auf offensichtlich junge Idealisten losgehen zu müssen. Zugeschlagen haben sie trotzdem. Nicht dass sie dabei immer ganz bei der Sache waren. Aber den Befehl verweigert haben sie nicht.
Die ganze bestehende politische und wirtschaftliche Ordnung hängt von der Verlässlichkeit der Polizei ab. Polizisten sind im Wesentlichen bewaffnete Verwaltungsbeamte, Bürokraten mit Revolvern. Für die Aufrechterhaltung von institutionellen und – insbesondere – Eigentumsarrangements zu sorgen ist letztlich weit wichtiger als jede angebliche Sorge um die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit. Das mag auf den ersten Blick nicht so scheinen, wird aber sofort deutlich, wenn die institutionelle Ordnung sich irgendeiner direkten Bedrohung ausgesetzt sieht, sei es durch eine Demonstration oder einen Akt zivilen Ungehorsams. Dann sind stets die folgenden Reaktionen abzusehen: der Einsatz von Lockspitzeln, die Demonstranten zu Angriffen auf die Polizei verleiten sollen, damit man sie verhaften kann; Polizeieinsätze, die darauf abzielen, für Panik und Uneinigkeit zu sorgen; massive und brutale Angriffe auf die Menge, obwohl aus ihr heraus nur ein oder zwei Einzelpersonen – mit meist geringfügigen Delikten – gegen das Gesetz verstoßen haben; Massenfestnahmen, bei denen schon per Definition unschuldige Passan ten ins Netz geraten; der Einsatz von Tränengas und anderen chemischen Mitteln in der Öffentlichkeit. Anders gesagt, wenn eine Demonstration wirklich Wirkung zu zeigen beginnt, bekommt die Polizei unweigerlich den Befehl, als politische Kraft eine politische Opposition zu unterdrücken – auch auf die Gefahr hin, dabei die
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