Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inside Occupy

Inside Occupy

Titel: Inside Occupy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Graeber
Vom Netzwerk:
Infolgedessen versuchten die Rebellen in den meisten Fällen gar nicht erst, den Staatsapparat zu übernehmen; für sie war das Problem der Apparat selbst.
    Heutzutage ist es schick, in den gesellschaftlichen Bewegungen der Sechziger einen peinlichen Fehlschlag zu sehen. Da ist ja auch was dran.. In gewisser Weise hat die die politische Rechte von 1968 profitiert. Die Ideale der individuellen Freiheit und der Fantasie sind umgeschlagen in einen Hass auf die Bürokratie und den Argwohn gegenüber der Rolle des Staates. Vor allem aber ist die Doktrin des freien Marktes wiederauferstanden, die spätestens mit Keynes und dem New Deal an Attraktivität schwer eingebüßt hatte. Es ist kein Zufall, dass dieselbe Generation, die als Teenager Träger der chinesischen Kulturrevolution gewesen ist, nun im gereiften Alter für die Wiedereinführung des Kapitalismus verantwortlich ist. Seit den 80er Jahren bedeutet »Freiheit« nichts anderes als »der Markt«, und »der Markt« wird mittlerweile synonym zu Kapitalismus verwendet – ironischerweise selbst in Ländern wie China, wo man seit Tausenden von Jahren hochentwickelte Märkte kennt, von denen kaum einer als kapitalistisch zu bezeichnen gewesen wäre.
    Der Ironien sind Legion. Während die neue Ideologie vom freien Markt sich in erster Linie durch die Ablehnung von Bürokratie definiert, ist gerade sie verantwortlich für das erste Verwaltungssystem, das auf globaler Ebene operiert: der Internationale Währungsfonds, die Weltbank, die Welthandelsorganisation, internationale Finanzeinrichtungen, transnationale Konzerne, Nichtregierungsorganisationen … Dies ist eben das System, das uns – unter der wachsamen Ägide des amerikanischen Militärs – den orthodoxen freien Markt aufgezwungen und die Welt für die finanzielle Plünderung geöffnet hat. Dass die ersten Versuche, mit dem zwischen 1998 und 2003 zur Höchstform auflaufenden Global Jus tice Movement eine weilweite revolutionäre Bewegung auf die Beine zu stellen, eine Rebellion gegen die Herrschaft dieser globalen Bürokratie waren, ist also nur folgerichtig.
    Rückblickend, so denke ich, werden die Historiker früher oder später feststellen, dass das Erbe der Revolution der 60er Jahre tiefgreifender ist, als wir es heute wahrhaben wollen, und dass der Triumph der kapitalistischen Märkte mitsamt ihren globalen Verwaltern und Vollstreckern, der uns im Gefolge des sowjetischen Zusammenbruchs 1991 so epochal und dauerhaft anmutete, in Wirklichkeit weit seichter war.
    Ich will hier ein auf der Hand liegendes Beispiel anführen. Man hört immer wieder, dass all die Demonstrationen gegen den Krieg Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre letztlich Fehlschläge gewesen seien, weil sie den amerikanischen Rückzug aus Indochina nicht merklich beschleunigt hätten. Festzuhalten ist jedoch, dass es fast dreißig Jahre dauerte, bis amerikanische Truppen abermals in einen großen Landkrieg geschickt wurden. Es bedurfte dazu eines 11. September, eines Angriffs, der Tausende von Zivilisten auf amerikanischem Boden das Leben kostete, um das notorische »Vietnam-Syndrom« zu überwinden – und selbst dann bedurfte es schier obsessiver Anstrengungen, diese Kriege kugelsicher zu machen, was die möglichen Proteste anbelangt. Die Propaganda war gnadenlos; man hatte die Medien umsichtig sofort mit an Bord geholt; Experten lieferten exakte Berechnungen über die zu erwartende Zahl von Gefallenen, und die Einsatzregeln wurden sorgfältig so formuliert, dass man unter dieser Zahl blieb.
    Das Problem dabei war nur, dass diese Einsatzregeln, die die Anzahl der Gefallenen und Verwundeten auf amerikanischer Seite so gering wie nur möglich halten sollten, den Tod von Tausenden von Frauen, Kindern und alten Menschen als »Kollateralschäden« in Kauf nahmen und damit für einen Hass auf die Besatzer sorgten, der praktisch garantierte, dass die USA hinter ihren militärischen Zielen zurückblieben. Und bemerkenswerterweise waren die Planer des Krieges sich dessen offenbar bewusst. Es schien ihnen nämlich weitaus wichtiger zu sein, zu Hause eine effektiveOpposition zu verhindern, als den Krieg zu gewinnen. Es ist gerade so, als hätte die amerikanischen Truppen im Irak letztendlich der Geist von Abbie Hoffman besiegt.
    Man kann daher die Antikriegsbewegung der 60er Jahre, die den amerikanischen Militärs noch 2012 die Hände bindet, wohl kaum als Fehlschlag bezeichnen. Aber für mich tut sich da eine interessante Frage auf: Was, wenn dieser

Weitere Kostenlose Bücher