Inside Occupy
die die treibende Kraft der Bewegung sind, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln durch Sensationsmache. Dann greift man, in dem Versuch, die Bewegung zu spalten, zu einer Kombination aus strategischen Konzessionen an die Liberalen und Massengewalt gegen die Radikalen. Die erste Phase ist nichts als kalkulierte Propaganda, um die Radikalen als niederträchtiges Gesindel hinzustellen, das die Prügel in der zweiten Phase durchaus verdient.
Ich habe im Gefolge der WTO-Proteste in Seattle ziemlich viel Zeit für die Dokumentation dieser Rezeptanwendung aufgebracht. Ich habe des Öfteren in aktivistischen Medienprojekten mitgemacht, wo wir uns immer wieder mit bizarren Informationen konfrontiert sahen, die alle aus offiziellen Quellen zu stammen schienen. Im Fall Seattle reichten sie von der merkwürdigen, im Sommer 2000 fast allgegenwärtigen Behauptung, Globalisierungsgegner seien in Wirklichkeit alle Kinder reicher Elternmit Treuhandfonds, bis hin zu Listen ultragewalttätigen Verhaltens, das Demonstranten in Seattle an den Tag gelegt haben sollen. Vor jedem späteren Wirtschaftsgipfel tauchten dann Warnungen vor derlei Verhalten auf, oft auf die Aussage von Fachleuten hin, die man zur Ausbildung der Polizei vor Ort geschickt hatte. Es war alles bewusste Panikmache – und das, obwohl die Polizei in Seattle eingestanden hatte, dass es während der WTO-Proteste auch nicht zu einer dieser vermeintlichen Gewalttaten gekommen war. 1
Vergleicht man dann verschiedene Perioden, bilden sich unverkennbare Muster heraus; so zum Beispiel die ständige Gegenüberstellung von Körperflüssigkeiten bzw. Ausscheidungsprodukten und Männern in Uniform. In den 60er Jahren bespuckten angeblich Demonstranten heimkehrende Soldaten (es ist nie wirklich passiert); in Seattle sollen Globalisierungsgegner die Polizei mit Kot und Urin attackiert haben; am Zuccotti Park war es dann ein betrunkener Besetzer, der seine Notdurft an einem Streifenwagen verrichtet haben soll. Derlei Bilder tauchen immer dann auf, wenn ein Einsatz Uniformierter gegen friedliche Demonstranten bevorsteht. Ihre endlose Wiederholung lässt sie rasch zum Stoff von Großstadtmythen werden; dokumentiert ist kein einziger Fall. Aber sie tun ausnahmslos ihre Wirkung.
Im Falle von OWS, wo sich nicht glaubwürdig behaupten ließ, irgendwer hätte die Polizei angegriffen, wurden die Zeltlager als Jauchegruben voller Gewalt, Verbrechen und Entwürdigung dargestellt – eine Strategie, die man in den ersten Wochen ausgeheckt zu haben schien, vermutlich durchaus mit Methode, da diese Bilder zugleich in so weit voneinander entfernten Städten wie Austin und Portland auftauchten. Überall gaben die Behörden plötzlich bekannt, man müsse die Camps aus sanitären Gründen zeitweilig räumen, manchmal für vier, fünf Stunden pro Tag. Es dauerte nicht lange, und die rechten Medien (was in USA Mainstream bedeutet) berichteten pflichteifrig über jeden Fall von Gewalt, zu dem es im Zusammenhang mit den Besetzungen kam, als wären sie typisch, obwohl sich zu diesem Zeitpunkt Zehntausende von Leuten in den Camps aufhielten. Zwei Vorwürfe von sexueller Nötigung (bei etwa 800 Besetzungen) behandelte man wie eine Vergewaltigungsepidemie. Systematisch ignorierten die Medien dabei die tatsächlichen Statistiken, laut denen die Kriminalitätsrate in den Camps weit unter dem nationalen Durchschnitt lag, und das trotz der Flut von obdachlosen Drogenabhängigen und ähnlichen Leuten, die die Polizei nicht selten eigens dazu anhielt, Unterschlupf in den Camps zu suchen. Ebenso systematisch ignorierte man, dass die Kriminalitätsrate ganzer Städte – Oakland war ein spektakuläres Beispiel – während der Zeit der Camps drastisch sank, um dann wieder hochzuschnellen, nachdem die geräumt worden waren. 2
Wie auch immer, man machte ihnen ein Ende, überall in Nordamerika, und das eindeutig im Sinne einer koordinierten Aktion. Selbst Bürgermeister Bloomberg in New York, der bereits erklärt hatte, er wolle die Camps in seiner Stadt stehen lassen, schien es sich plötzlich – innerhalb von ein, zwei Wochen – anders überlegt zu haben. Die Räumungen gingen mit Massenverhaftungen einher, und in vielen Fällen kam es zu einem völlig überzogenen Einsatz militärischer Gewalt, wenn man bedenkt, dass die Besetzer im Allgemeinen keinen gewalttätigen Widerstand leisteten.
Solche Ereignisse sind eine harte Prüfung für Allianzen. Im Allgemeinen herrscht zwischen radikalen Gruppen wie den
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