Inside Steuerfahndung: Ein Steuerfahnder verrät erstmals die Methoden und Geheimnisse der Behörde (German Edition)
Dieter Ondracek, Chef der Deutschen Steuergewerkschaft, dass in der Bundesrepublik pro Jahr etwa 30 Milliarden Euro Steuern in betrügerischer Absicht hinterzogen werden. Ein Steuerfahnder »erwirtschaftete« jährlich im statistischen Durchschnitt 1 Million Euro an Mehrsteuern, und machte seine Gehaltskosten somit mehr als wieder gut. Nachdem ab den 90er-Jahren im verstärkten Maß Banken, Konzerne und auch Parteien ins Visier der Steuerfahndung geraten waren, verbesserte sich überdies das Ansehen der Fahnder in der breiten Öffentlichkeit. Die bundesdeutsche Bevölkerung nahm mit Wohlwollen zur Kenntnis, dass nicht nur der kleine Mann seine Steuern zahlen und mit Ermittlungen rechnen musste, sondern auch die Reichen, Prominenten – und die führenden Persönlichkeiten dieses Staates. Und nun sollten Rudolf Schmenger und seine Kollegen plötzlich wieder zurückrudern und dem privilegierten Teil der Bevölkerung wieder jene Vorzugsbehandlung zuteilwerden lassen, die das Volk so sehr aufrührte. Denn eines war bei dieser ganzen Geschichte klar: Nicht der kleine Angestellte oder einfache Arbeiter schaffte seine Gelder in die Schweiz, nach Luxemburg oder gar Liechtenstein – es waren vornehmlich diejenigen, die es sich leisten konnten. Möglicherweise auch aufgrund ihrer guten Beziehungen oder eines effizienten Lobbyismus.
Das nächste Opfer
Der Amtsrat Rudolf Schmenger schien nach der Versetzung des kritischen und couragierten Bankenkoordinators der nächste in der Reihe zu sein. Es war ein schleichender Prozess. Von der neuen Sachgebietsleiterin wurde ihm vorgeworfen, dass er ineffizient arbeiten würde und zu viele offene Fälle auf Halde liegen habe. Rudolf Schmenger war maßgeblich daran beteiligt, dass es infolge der Bankenermittlungen zu etwa 60 000 Steuerstrafverfahren gekommen war – allein die Hälfte davon im Bundesland Hessen. Dabei konnte die Fahndung eine Mehrsteuer in Höhe von mehr als einer Milliarde Mark verbuchen. Zahlen, die seine neue Sachgebietsleiterin nur aus der Presse kannte. Aber der Mann war in ihren Augen nicht effizient – dafür jedoch ein kritischer Geist. Zu kritisch für eine Beamtin, die für sich selbst dezidierte Karrierepläne verfolgte.
Versierte Führungskräfte wissen in der Regel, mit welchen subtilen, mitunter perfiden Methoden unliebsame Mitarbeiter Schritt für Schritt mürbe gemacht werden können. Rudolf Schmenger musste zusehen, wie ihm Fälle entzogen wurden, ihm wurde überdies mitgeteilt, dass er mit Kollegen nicht mehr über laufende Ermittlungen reden dürfe – mit Staatsanwälten sowieso nicht, und er bekam die bereits erwähnte negative schriftliche Beurteilung. Gegen dieses Zeugnis erhob der Amtsrat Schmenger schriftlich Einspruch – und bekam dann auch die »passende« Antwort.
Am 22. November 2002 erhielt er ein weiteres Schreiben: die Einleitung disziplinarischer Vorermittlungen:
»Sehr geehrter Herr Schmenger,
gegen Sie leite ich hiermit disziplinarrechtliche Vorermittlungen nach § 22 Hessische Disziplinarordnung (HDO) ein.
Ihnen wird vorgeworfen, durch folgende Handlungen Dienstvergehen begangen zu haben:
Vereinbarung/Wahrnehmung eines Termins am 19.11.2002 bei der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Frankfurt am Main in einem Steuerstrafverfahren mit dem zuständigen Staatsanwalt R., ohne die zuständige SGLin Steufa [damit ist die Sachgebietsleiterin Steuerfahndung gemeint, Anm. d. Autoren] – vorher oder zumindest nachher – über den Termin sowie den Inhalt des Gesprächs zu informieren, entgegen einer ausdrücklichen Anordnung.
Erörterung eines Steuerstrafverfahrens eines anderen Steuerfahndungsbeamten mit dem zuständigen Staatsanwalt R. am 19.11.2002, ohne dass Ihnen der Fall überhaupt zugeschrieben worden ist.
Ausfüllen des Wochendienstplanes vom Sachgebiet XIX, ohne dass sich daraus die Veranlassung oder der Zweck Ihrer Abwesenheit ergibt.
Unentschuldigtes Fernbleiben vom Dienst am 21.11.2002 von 07.30 Uhr bis 08.25 Uhr. ...«
Es wurde etwas gesucht und man glaubte in der Behörde, auch etwas gegen den Amtsrat Schmenger gefunden zu haben. Aber was war überhaupt geschehen?
Im Sommer 2002 liefen steuerstrafrechtliche Ermittlungen gegen ein namhaftes Frankfurter Unternehmen, eine Durchsuchung war bereits erfolgt. Der Fall gestaltete sich als kompliziert, und in den Wochen zuvor war es schon mehrfach zu Gesprächen zwischen der Staatsanwaltschaft und den Anwälten des Beschuldigten gekommen. Der Fall lag bei Marco Wehner, einem
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