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Inside WikiLeaks

Titel: Inside WikiLeaks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Domscheit-Berg
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erschöpft.
    Zwischen den Bronzefiguren blieben wir einen Augenblick stehen. Kristinn zündete sich eine Zigarette an der vorangegangenen an. Er sprach ein bisschen überdeutlich und unterbrach mich mehrfach. Er war längere Zeit mit Julian zusammen in Großbritannien gewesen und durfte sich jetzt wohl zu seinen engsten Vertrauten zählen.
    »Und was machen wir nun?«, fragte ich.
    Kristinn guckte mit seinem leeren Blick durch mich hindurch. Ingi beobachtete uns stumm. Mir wurde klar, dass unser Krisenmanagement miserabel bis nicht vorhanden war und dass wir uns dringend alle zusammensetzen mussten, um sehr grundsätzlich über Posten, Aufgaben und Strukturen nachzudenken. Im Chat konnten wir unsere Probleme nicht lösen. Ich hatte schon länger auf ein Core Meeting, ein Treffen des Kernteams, gedrängt.
    Birgitta stieß wenig später zu uns dreien. Auch sie schien von der aktuellen Situation überfordert.
    Dann klingelte Kristinns Handy. Er hörte zu, antwortete erfreut und informierte uns dann erleichtert. Der Haftbefehl war zurückgezogen worden. Was für ein Tag! Wir waren uns alle einig, dass Julian das Verhalten seinen Frauenbekanntschaften gegenüber dennoch dringend überdenken sollte.
    Zu dem Thema »Julian und die Frauen« ließen sich nämlich in der Tat ein paar Sätze sagen. Julian mag Frauen, das steht fest. Dabei gab es keine bestimmte Frau, die seine Gedanken besetzt hielt – es war das Thema an sich. Wenn wir auf Konferenzen waren, taxierte er nicht selten die Anwesenden. Es ging ihm nicht um Beine, Brüste, Hintern, wie man es Männern gerne unterstellt. Julians Zuneigung zu Frauen war nicht so plump, wie es in den Medien dargestellt wird.
    Julian hatte einen Blick für Details. Für Handgelenke zum Beispiel, Schultern, Nacken. Er sagte nie etwas wie »geile Titten« oder so, wirklich, nie. Er sagte eher: »Die Frau hat schöne Wangenknochen, das sieht sehr edel aus.« Oder wir betrachteten eine grazile Frau, die in ihrer Handtasche kramte, während sie an uns vorbeiging. Und Julian sagte: »Es muss sich gut anfühlen, von diesen Händen berührt zu werden.« Das war aber wirklich schon das Äußerste, er redete mir gegenüber nie obszön über Frauen.
    Ich muss gestehen, er hat mich mit seinem Frauen-Tick ein bisschen angesteckt. Dabei war ich ja damals auch in festen Händen. Ich erinnere mich noch an die Global-Voices- Konferenz in Budapest. Dort gingen wir nach unserem Vortrag auf eine Party, die auf dem Dach eines alten Supermarkts stattfand, und tranken ziemlich viel Absinth. Julian und ich vertrugen beide kaum Alkohol, und so waren wir in recht beschwipster Laune, als wir von der Party die Straße zurück zu unserem Apartment nahmen.
    Die Wohnung hatte ein Gasleck, und es roch erbärmlich darin, vermutlich war eine Leitung undicht. Wir schliefen abwechselnd im Hochbett oder auf dem Sofa und machten Witze wie: »Wenn du mich nur noch röcheln hörst, schlepp dich besser zum Fenster.« Oder: »Soll ich deinen Eltern noch irgendwas ausrichten, wenn ich ihnen die traurige Nachricht überbringe?« Aber das Apartment war billig und zentral gelegen, und eigentlich hatten wir in Budapest ein sehr feines Leben.
    Auf dem Heimweg von unserem Absinth-Abend hatten wir jedenfalls so etwas wie eine gemeinsame Erscheinung: Auf Rollerblades, in Hotpants und engem Oberteil, raste da eine Frau an uns vorbei. Sie war aufregend, sexy und sah sehr interessant aus. Wir steigerten uns ein bisschen in unsere Phantasien, und das Thema ließ uns den ganzen Abend nicht mehr los.
    Zurück in unserer Gasbude sinnierten wir dem Abend hinterher. Julian lag unten auf dem Sofa, ich war nach oben auf das Hochbett geklettert. Wir redeten über die Konferenz, andere Leute, künftige Pläne.
    Ab und zu seufzte einer und sagte: »Was für eine Frau!«
    Oder der andere sagte: »Ja, die war schon der Hammer.«
    Wir sind sogar später immer mal wieder auf diese Rollerbladerin zurückgekommen, sie wurde zum Sinnbild für unsere Traumfrau.
    Ich habe in der Zeit nie etwas mit anderen Frauen angefangen, mich plagte dennoch ein schlechtes Gewissen. Ich merkte, dass ich mich durch die vielen Reisen immer weiter von meiner Freundin in Wiesbaden entfernte.
    Für Julian war das Kriterium, das eine Frau in seinen Augen begehrenswert machte, recht einfach: 22. Sie sollte jung sein. Und ihm war wichtig, dass sie ihn nicht in Frage stellte und sich ihrer Rolle als Frau bewusst war. Sie durfte zugleich intelligent sein, das gefiel ihm sogar. Es

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