Inspector Alan Banks 02 Eine respektable Leiche
Ärger ihres Vaters; daß er oft mit Michael Ramsden zusammengearbeitet hatte; daß er dessen Familie geholfen und nach dem Tod des alten Ramsden das Haus gekauft hatte; daß er im großen und ganzen recht beliebt gewesen war und sich regelmäßig mit Jack Barker, Teddy Hackett und Doktor Barnes im Bridge getroffen hatte. Alles in allem nicht gerade der Typ, der bei andern die wilden großen Leidenschaften entfesselt, wie Heathcliff beispielsweise. Trotzdem mußte es ihm wohl bei irgendwem gelungen sein; immerhin hatte man ihn umgebracht.
Der Täter war bestimmt ein Mann, dessen war sich Sally ganz sicher. Steadman war ziemlich groß gewesen und hatte garantiert ein ganz ordentliches Gewicht gehabt. Eine Frau wäre nie imstande gewesen, seine Leiche über den Wall zu hieven und den ganzen Hügel hoch auf dieses Feld zu schleppen. Aber damit war der Kreis der Verdächtigen immer noch recht groß. Wirklich ärgerlich, daß sie nicht die Geistesgegenwart gehabt hatte, einen Blick aus dem Schuppen zu werfen, in der bewußten Nacht. Jetzt blieb ihr nichts anderes übrig, als ihre Phantasie anzustrengen und sich auf die Fakten zu konzentrieren. Daß Michael Ramsden sich früher mal um Penny Cartwright bemüht hatte, war allgemein bekannt. Vielleicht hatte er immer noch eine Schwäche für sie - wie Heathcliff für Catherine - und war eifersüchtig gewesen auf diesen Steadman ? Andererseits hatte sie ihn doch neulich gesehen - und ganz schnell weggeguckt -, als sie mit Kevin in diesem Lokal gewesen war, in Leeds. Er war mit einer sehr gutaussehenden Frau zusammen gewesen - und zwar nicht mit Penny, das hatte sie genau gesehen, obwohl sie nur mal flüchtig hingeguckt und Kevin schleunigst zum Ausgang gezerrt hatte -, und wenn er Penny immer noch liebte, war wohl kaum anzunehmen, daß er mit einer anderen Frau ausging.
Natürlich kam auch dieser Jack Barker in Frage. Anfangs war er ihr nicht besonders verdächtig vorgekommen, aber inzwischen konnte sie sich gut vorstellen, daß er zu einem Verbrechen aus Leidenschaft fähig war. Sie hatte oft genug beobachtet, wie er mit Penny ins Dorf geschlendert war, und Steadman war ihm sicher im Wege gewesen. Außerdem schrieb er Krimis und wußte alles über Mord. Er war ein Gentleman, ganz klar, aber das hieß noch lange nicht, daß er so blöd war, mit rauchender Kanone in der Landschaft rumzustehen und auf die Polizei zu warten. Schließlich mußte er doch sehen, daß er die Leiche möglichst schnell los wurde, damit er in Freiheit blieb und versuchen konnte, Pennys Liebe zu erringen. Aber vielleicht hatte er ein Alibi, die Frage war nur, wie man das herausfinden konnte.
Bei Hackett war der Fall klar. So was wie Liebe oder Leidenschaft kam natürlich nicht in Frage, aber es hatte allerhand Gerüchte gegeben über dieses Grundstück. Daß die Leute bei so was total ausrasten konnten, sah man ja an Sturmhöhe.
Sie griff nach ihrer Sonnenschutzcreme. Eine Schicht noch, ein Stündchen oder so, dann war es Zeit, wieder ins Haus zu gehen. Was die Jagd nach dem Mörder betraf, so blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als sich die gesamten achtzehn Monate, die die Steadmans nun schon in Gratly lebten, in Erinnerung zu rufen, jede Einzelheit, die sie seither im Dorf gehört oder gesehen hatte. Möglicherweise fiel ihr heute etwas auf, ein Wort oder eine Geste, deren Bedeutung ihr früher nicht aufgegangen war und die erst im Zusammenhang mit diesem Mord einen Sinn ergab. Sie hatte ein ausgezeichnetes visuelles Gedächtnis - wahrscheinlich, weil sie so viele Filme gesehen hatte - und konnte sich jederzeit einen bestimmten Gesichtsausdruck oder eine Körperhaltung in Erinnerung rufen. Vielleicht machte es irgendwann klick, wenn sie lange genug daran arbeitete.
Es war ein angenehmes Gefühl, das warme Sonnenöl zu spüren, sich den Bauch und die Schenkel zu massieren und sich vorzustellen, daß es Kevins Hände waren, die ihre prickelnde, leicht gerötete Haut einrieben. Eine Biene summte um den offenen Flaschenhals, streckte die Fühler aus und schwebte davon, während sich Sally wieder ihrer Lektüre zuwandte, fettige Fingerabdrücke auf den Buchseiten hinterlassend.
* III
Ganz in ihr Gespräch vertieft, schlenderten die beiden Männer langsam über Helmthorpes High Street. Banks hatte eine Hand in der Hosentasche versenkt, während er mit der anderen das lässig über der Schulter hängende leichte Sportsakko festhielt. Die Ärmel des weißen Oberhemds hatte
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