Inspector Alan Banks 06 Das verschwundene Lächeln
Ihnen eigentlich gleich erzählen, aber ich bin so früh nach Bradford gefahren. Im Erdgeschoss wohnt eine Studentin namens Edwina Whixley. Sie hat gelegentlich männliche Stimmen aus Johnsons Wohnung gehört. Und einmal hat sie jemanden die Treppe herunterkommen sehen, der ihn ihrer Meinung nach besucht haben könnte.«
»Haben Sie eine Beschreibung erhalten?«
»Ja.« Susan angelte ihr Notizbuch hervor und blätterte die entsprechende Seite auf. »Ungefähr einen Meter siebzig groß, Mitte dreißig, kurz geschorenes, schwarzes Haar und kantiger Kopf. Er trug eine Wildlederjacke mit Reißverschluss und Jeans.«
»Das ist alles?«
»Ja, Sir.«
»Sagt Ihnen das was?«
Susan schüttelte den Kopf.
»Mir auch nicht. Vielleicht sollten Sie die Frau ja mal ins Revier bitten, damit sie sich ein paar Fotos in der Kartei anschaut. Außerdem könnten Sie in Johnsons Akte nach Namen von eventuellen Freunden aus dem Gefängnis suchen. Vielleicht sind ja welche aus der Gegend dabei oder irgendjemand, auf den die Beschreibung passt.«
»In Ordnung, Sir.« Susan nahm ihre Tasche und verabschiedete sich.
Sie hatte einen sehr zielstrebigen Gang, fiel Banks auf. Er erinnerte sich an die Probleme, mit denen sie vor nicht allzu langer Zeit gekämpft hatte, und kam zu dem Schluss, dass sie im Endeffekt ihr Gutes gehabt hatten. Susan Gay war kein Mensch, der den Kopf in den Sand steckte und aufgab. Rückschläge stärkten sie, sie lernte aus ihren Fehlern. Vielleicht wurde sie dadurch ein wenig hart, etwas zynischer und zudem verschlossener - aber womöglich waren das gar nicht die schlechtesten Eigenschaften für einen Detektiv. Es war schwer, nicht zynisch zu werden, wenn man so viel Gemeinheit und menschliches Elend sah, aber in vielen Fällen war der Zynismus lediglich ein Schutz und genauso wie die geschmacklosen Witze am Tatort oder bei der Obduktion ein Weg, mit dem Schrecken und der Grausamkeit des Todes und vielleicht auch mit der Tatsache klarzukommen, dass dieses Schicksal eines Tages ausnahmslos alle ereilen würde. Die besten Polizisten, dachte Banks, waren diejenigen, die nichtsdestotrotz an ihrer Menschlichkeit festhielten. Er hoffte, dass ihm das gelänge; er wusste, dass es Gristhorpe gelungen war, und er wünschte sich für Susan, dass auch sie es schaffen möge. Sie war noch jung.
Die Touristen beschlossen, nach Hause zu gehen, teilweise deshalb, weil ihr jüngstes Kind einen furchtbaren Krach machte. Die Bauern diskutierten mittlerweile über ihre Chancen beim Pferderennen um drei Uhr vierzig in Newmarket. Banks trank sein Pint aus und ging dann zurück in sein Büro. Er musste noch Schreibkram erledigen. Und er wollte sich, so wenig ihm der Gedanke daran auch behagte, für morgen mit Linda Fish vom Schreibzirkel verabreden, die ihn vielleicht mit neuen Informationen über Mr Adam Harkness versorgen konnte.
* V
Kurz nachdem Les am Montagabend in den Pub gegangen war, bekam Brenda Scupham Besuch von einer seltsamen Frau. Brenda spülte gerade ab und sang zu einer Platte von Patsy Cline, als es an der Tür klingelte. Sie trocknete sich die Hände am Geschirrtuch ab, ging durch den Flur und öffnete die Tür.
»Mrs Scupham? Brenda Scupham?«
Mit einem marineblauen, bis zum Hals zugeknöpften Regenmantel und einem um den Kopf gewickelten dunklen Schal stand eine Frau im Regen vor ihr. Der Wind zerrte an dem schwarzen Regenschirm, den sie hielt. Hinter ihr, auf der anderen Straßenseite, konnte Brenda die neugierige Frau aus Nummer elf verstohlen durch ihre Gardinen spähen sehen.
Brenda verschränkte ihre Arme gegen die Kälte und runzelte die Stirn. »Ja. Was wollen Sie?«
»Ich bin Lenora Carlyle«, stellte die Frau sich vor. »Sie haben vielleicht schon von mir gehört.«
»Sind Sie von der Zeitung?«
»Nein. Darf ich hereinkommen?«
Brenda trat zur Seite und die Frau senkte ihren Regenschirm und kam herein. Im Flurlicht fielen Brenda sofort ihre eindringlichen dunklen Augen und ihr dunkler Teint auf, der sie als Zigeunerin auswies. Sie löste ihren Schal und schüttelte ihr volles kohlrabenschwarzes Haar.
»Ich brauche nichts«, fuhr Brenda fort, die plötzlich nervös geworden war.
»Ich bin keine Reporterin, Brenda, und ich verkaufe auch nichts«, erklärte die Frau mit ruhiger, hypnotischer Stimme. »Ich bin Hellseherin. Ich bin wegen Ihrer Tochter gekommen, wegen Gemma. Ich möchte Ihnen helfen.«
Brenda
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