Inspector Alan Banks 06 Das verschwundene Lächeln
Vielfalt der Küche und der Atmosphäre erfreut. Aber hier, in einer Stadt mit Kopfsteinpflaster auf dem Marktplatz, mit einem antiken Marktkreuz, der normannischen Kirche und den ausgegrabenen vorrömischen Ruinen, in unmittelbarer Nähe zu den unvergänglichen, von Gletschern geformten Tälern und den steil aufragenden Bergen mit ihren zerklüfteten Kalksteinkanten und im Zickzack verlaufenden Natursteinmauern, hier kam ihm diese unechte amerikanische Aufmachung wie eine Beleidigung vor.
Genau wie im Bistro war auch hier das Bier ein Problem. Statt Theakston's Bitter, Old Peculier, Tetley's, Marston's oder Sam Smith's gab es lediglich eine Auswahl kohlensäurereicher Fassbiere und importierter Flaschenbiere aus Deutschland, Holland, Mexiko und Spanien, die natürlich alle eiskalt waren. Komischerweise saß er bei einem Glas Labatt's (Pints wurden nicht serviert, das Bier kam in hohen, schweren Tulpengläsern), das zu den weniger interessanten Lagerbieren gehörte und an das er sich von seiner Reise nach Toronto erinnerte.
Solche Dinge gingen ihm durch den Kopf, als er ratlos vor der Speisekarte darauf wartete, dass Linda Fish, die Salonsozialistin, aufkreuzte. Corrigan's war ihre Wahl gewesen, und da er Informationen von ihr wollte, hatte er es für das Beste gehalten, ihrem Wunsch zu entsprechen. Unglaublich, welche Opfer ein Polizist bei der Ausübung seines Berufs bringen musste, dachte er kopfschüttelnd. Immerhin stand ein Aschenbecher auf dem Tisch. Er schaute aus dem Fenster und betrachtete die Leute, die den Mittag für Einkäufe nutzten und durch den Regen in das Einkaufszentrum gegenüber eilten. Regenmäntel, Wachsjacken, ein kühler Wind: Es sah so aus, als wäre es schließlich Herbst geworden.
Nachdem er bereits zehn Minuten lang trübsinnig seinen Gedanken nachgehangen hatte, betrat Linda das Lokal. Sie schob ihren Regenschirm zusammen und schaute sich um, erblickte ihn und lief zu ihm. Sie war Banks immer wie ein großes Kind vorgekommen. Das lag zum einen an ihrem Kleidungsstil - heute trug sie eine blaue Jogginghose und ein dazu passendes Sweatshirt mit einem rosafarbenen Teddybär auf der Vorderseite - und zum anderen an ihrem etwas formlosen Gesicht, einer Art Teigmasse mit Sommersprossen, in der zwei wässerige, mit blauen Lidschatten betonte Augen, eine Knopfnase und ein Mund mit schmalen, mit Lippenstift nachgezogenen Lippen steckten. Ihr strohfarbenes Haar sah aus, als hätte sie es gerade eigenhändig mit einer stumpfen Schere vor einem Taschenspiegel geschnitten. Wie immer hatte sie ihre viel zu große und abgewetzte Lederumhängetasche dabei, die sie in Florenz erstanden hatte, wie sie ihm einmal erzählt hatte, und die ihr außerordentlich viel bedeutete. Er hatte keine Ahnung, ob sie mit Ziegelsteinen, Toilettenartikeln oder unveröffentlichten Manuskripten voll gestopft war, auf jeden Fall sah sie schwer aus.
Linda quetschte ihre massige Gestalt auf die Sitzbank gegenüber von Banks. »Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, sich ausgerechnet hier mit mir zu treffen«, sagte sie mit verschwörerischer Miene, »aber ich bin in letzter Zeit leider ziemlich süchtig nach den Chiliburgern geworden.«
»Nein, es ist doch nett hier«, log Banks. Sie stammte nicht aus Yorkshire und durch ihr leichtes Lispeln klang ihr Akzent der Londoner Umgebung noch aufgesetzter. Doch was auch immer man über Linda sagen oder denken mochte, sie war beileibe nicht dumm. Sie leitete nicht nur den hiesigen Schreibzirkel mit solcher Energie und Begeisterung, dass die meisten Beobachter nur staunen konnten, sie war auch eine Autorin, die tatsächlich veröffentlichte, und kein bloßes Talent und keine Dilettantin. Erst vor einem Jahr hatte sie einen Kurzroman bei einem großen Verlag herausgebracht. Banks hatte ihn gelesen und anerkennen müssen, dass er gut war. Sogar sehr gut. Nein, Linda Fish war keine Närrin. Wenn sie lächerlich aussehen wollte, dann war das ihre Sache.
»Leider werde ich Ihnen nicht besonders viel erzählen können«, sagte sie.
»Auch weniges würde mir schon weiterhelfen.« Banks schob die Speisekarte zur Seite. »Können Sie mir etwas empfehlen?«
Ihre blauen Augen verengten sich zu einem Lächeln. »Ihnen gefällt es hier nicht, stimmt's?«, fragte sie. »Tut mir Leid, dass ich dieses Lokal vorgeschlagen habe. Männer fühlen sich anscheinend in Pubs wesentlich wohler.«
Banks lachte. »Da haben Sie Recht. Aber aus neuen Erfahrungen kann man
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