Inspector Alan Banks 07 Die letzte Rechnung
sollen. Aber das war ein großes Vielleicht. Er war nicht der allmächtige Gott, er konnte nicht alles vorhersehen.
Meistens stand man bei der Polizeiarbeit sowieso wie ein Idiot im Dunkeln und wartete darauf, dass es langsam hell wurde, so wie es jetzt gerade draußen hell wurde. Nur selten offenbarte sich einem die Wahrheit so schnell wie ein Blitz. Aber das waren wirklich äußerst seltene Gelegenheiten. Und selbst dann hatte man Monate damit verbracht, den richtigen Standort zu finden, bevor einen der Blitz treffen konnte.
Letzte Nacht in der kleinen Gasse hatte er also seine Beherrschung verloren. Na und? Zwei Halbstarke hatten versucht, ihn zu überfallen, und er war auf sie losgegangen und hatte sie fertig gemacht. An das meiste erinnerte er sich jetzt nur noch verschwommen; was er aber noch wusste, reichte aus, um ihm peinlich zu sein.
Es waren eigentlich nur Jugendliche gewesen, höchstens Anfang zwanzig, die Zoff gesucht hatten. Aber einer war schwarz gewesen und einer weiß, wie die Männer; die Pamela Jeffreys ins Krankenhaus gebracht hatten. Banks wusste genau, dass es nicht dieselben gewesen waren, aber als sein Zorn ausbrach und er in Rage geriet, als das Blut zu fließen begann, da waren es genau die beiden Männer, auf die er einschlug. Kein Wunder, dass sie mit vollen Hosen weggelaufen waren. Seine Vernunft war völlig ausgeschaltet gewesen; blind vor Zorn hatte er geglaubt, er würde auf die Männer einschlagen, die er wirklich treffen wollte. Er hatte seine Wut an zwei unvorsichtigen Ersatzleuten ausgelassen. Sie waren einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen.
Trotzdem hatten es diese beiden Amateure nicht besser verdient, sagte er sich. Vielleicht hatte er wenigstens zwei Straßenräuberlehrlingen den Mut genommen, ihre geplante Karriere weiterzuverfolgen. Ganz bestimmt würden sie niemandem etwas davon erzählen. Und immerhin hatte er sie nicht umgebracht, sie konnten noch weglaufen und ihre Wunden lecken. Sie würden überleben, um irgendwann wieder zu kämpfen, vorausgesetzt, sie fänden wieder den Mut dafür. Es war nicht das Schlimmste, das er in seinem Leben getan hatte. Und sicherlich würde das Gefühl, ein kompletter Vollidiot zu sein, bald vergehen und er konnte sein Leben normal weiterführen.
Eine Weile döste er vor sich hin und wachte um fünf Uhr einundvierzig wieder auf. Nicht ganz so schlimm wie vier Uhr zweiunddreißig, dachte er auf den ersten Blick. Er stand auf und schaute hinaus in den grauen Morgen. Die Straße und der Gehweg waren noch mit Pfützen bedeckt. Grüne Doppeldeckerbusse fuhren bereits die Menschen zur Arbeit und spritzten das Wasser hoch, das sich in den Rinnsteinen gesammelt hatte. Banks' Zimmer befand sich im fünften Stock, hinter der majestätischen Kuppel der Stadthalle konnte er den grauen Himmel sehen, der aussah, als wäre er mit Blut- und Milchschlieren durchzogen. Aus dem Obdachlosenasyl der Heilsarmee gegenüber trotteten schon die ersten zerlumpten Gestalten.
In dem Zimmer gab es einen Wasserkocher, daneben lagen kleine Beutel löslichen Kaffees. Banks bereitete sich eine Tasse zu und ging damit zurück ins Bett. Er schaltete die Nachttischlampe an und nahm Evelyn Waughs Buch Mit Glanz und Gloria, das er mitgebracht hatte, zur Hand. Vielleicht heiterten ihn Guy Crouchbacks Missgeschicke ein wenig auf. Wenigstens hatte er nicht so viel Pech wie der.
Er würde die letzte Nacht einfach hinter sich lassen, beschloss er, als er einen Schluck des dünnen Nescafes trank. Ein Mensch durfte Fehler machen, er sollte sich nur nicht an ihnen festklammern, sonst zogen sie ihn in den Abgrund.
* II
Um neun Uhr an diesem Morgen saß Susan Gay allein in der vorletzten Reihe der kleinen, konfessionslosen Kapelle des Krematoriums von Eastvale. Dank eines großen Ventilators unter dem westlichen Buntglasfenster war es kühl in dem Raum, die Beleuchtung war angemessen gedämpft. Es roch nach Schuhcreme und nicht wie sonst in Kapellen nach muffigen Gesangbüchern.
Der Gottesdienst dauerte nicht lange. Der dafür verpflichtete Pfarrer sagte ein paar Worte über Keith Rothwells Hingabe zu seiner Familie und seinem Aufgehen in harter Arbeit und las dann den Psalm 51. Susan fand den ganzen Sermon über das Reinwaschen von der Sünde besonders passend. »Blutschuld« war ein Wort, das sie noch nie gehört hatte, und ohne zu wissen warum, lief ihr dabei ein kleiner Schauer über den Rücken. Die Erwähnung von
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