Inspector Alan Banks 07 Die letzte Rechnung
»Brandopfern« beschwor wieder das grausige Bild von Rothwells Leiche herauf, der Kopf nur noch eine dunkle, formlose Masse, als wäre er tatsächlich verbrannt worden, aber bei der Zeile »Wasche mich, dann werde ich weißer als Schnee« hätte sie beinahe laut losgelacht. Bei diesen Worten musste sie an eine alte Fernsehwerbung für Waschmittel denken und dann an Rothwells Geldwäsche.
Nachdem der Pfarrer ein Stück aus der »Offenbarung des Johannes« über einen neuen Himmel und eine neue Erde und über das Verschwinden aller Trauer, aller Klage und des Todes vorgelesen hatte, war der Gottesdienst vorbei.
Die Rothwells, dem Anlass entsprechend in Schwarz gekleidet, saßen in der ersten Reihe. Während der Zeremonie hatte Mary steif auf ihrem Platz verharrt, Alison hatte die ganze Zeit zwischen dem Buntglasfenster und dem Taufstein hin- und hergeschaut und Tom hatte vornübergebeugt dagesessen. Soweit Susan es von hinten beurteilen konnte, hatte keiner von ihnen nach einem Taschentuch gegriffen.
Als sie beobachtete, wie die drei nach draußen ins Sonnenlicht gingen, konnte sie sehen, dass sie Recht hatte. Alle hatten trockene Augen, keine Träne war zu sehen, Mary Rothwell war beherrscht wie immer und trug ihren Verlust und ihren Kummer mit Fassung.
Niemand nahm Notiz von Susan, außer Tom, der auf sie zukam und sie ansprach. »Sie sind doch die Polizeibeamtin, die bei uns war, als ich aus den Staaten zurückgekehrt bin, oder?«, sagte er.
»Ja. Constable Susan Gay, falls Sie meinen Namen vergessen haben.«
»Ich habe ihn nicht vergessen. Was machen Sie hier?«
»Ich würde gern kurz mit Ihnen sprechen, wenn Sie ein paar Minuten Zeit haben.«
Tom zog eine silberne Taschenuhr aus seiner Weste. Susan sah, dass sie mit einer Kette an einer seiner Gürtelschlaufen befestigt war. Bei einem jungen Menschen wie ihm erschien diese Geste reichlich affektiert. Vielleicht hatte er damit die Amerikaner beeindruckt. Er steckte die Uhr zurück in die Tasche. »In Ordnung«, sagte er. »Aber im Moment geht es nicht. Wir gehen jetzt erst zu Mr. Pratt zum Kaffeetrinken. Ich muss mich dort zeigen.«
»Selbstverständlich. Würde es Ihnen in einer Stunde passen?«
»Okay.«
»Es ist so ein herrlicher Morgen«, sagte Susan. »Wie wäre es, wenn wir uns in dem Café am Fluss treffen, bei der Ausgrabungsstätte?«
»Gut, ich kenne es.«
Susan ging zurück ins Revier und beschäftigte sich eine Dreiviertelstunde mit Papierkram, bevor sie sich auf den Weg zu ihrer Verabredung machte.
Der Swain führte nach dem Tauwetter des Frühlings noch eine Menge Wasser und hatte eine starke Strömung. Auf der Wiese am Ufer hatte der Besitzer des kleinen Cafés ein paar wackelige weiße Tische und Stühle aufgestellt. Nachdem Susan eine Dose Cola für Tom und eine Kanne Tee für sich gekauft hatte, setzten sie sich damit ans Wasser. Zwei Trauerweiden rahmten das wellige Ackerland dahinter. Am gegenüberliegenden Ufer, im Mittelpunkt des Blickes, lag ein leuchtend gelbes Rapsfeld.
Fliegen summten um ihren Kopf herum, die Susan mit wedelnden Handbewegungen zu verscheuchen versuchte. »Wie war es?«, fragte sie.
Tom zuckte mit den Achseln. »Ich hasse solche Gesellschaften. Und Laurence Pratt geht mir auf die Nerven.«
Susan lächelte. Da hatten sie ja immerhin etwas miteinander gemein. Schweigend betrachtete sie den jungen Mann, der ihr gegenübersaß. Welliges, halblanges braunes Haar bedeckte seine Ohren. Er war sonnengebräunt, schlank, gut aussehend und machte in seinem Traueranzug eine genau so gute Figur wie in zerrissenen Jeans und Jeanshemd. Je länger sie ihn beobachtete, desto sicherer war sie, dass sie Recht hatte mit ihrer Einschätzung über ihn.
Er rutschte auf seinem Stuhl umher. »Hören Sie«, sagte er. »Es tut mir Leid wegen neulich. Ich war unhöflich, ich weiß. Aber ich war müde und durcheinander.«
»Das verstehe ich«, erwiderte Susan. »Ich hatte nur den Eindruck, dass Sie mir etwas sagen wollten.«
Tom schaute hinüber zum Fluss. Sein Gesicht sah zerknirscht aus, aber vielleicht blendete ihn auch nur die Sonne. »Sie wissen es, nicht wahr?«, fragte er. »Sie haben ein Gespür dafür.«
»Dass Sie homosexuell sind? Ich habe es stark vermutet, ja.«
»Sieht man mir das an?«
Susan lachte. »Vielleicht nicht jeder. Aber denken Sie daran, ich bin Kriminalbeamtin.«
Tom gelang ein schwaches Lächeln. »Komisch,
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