Inspector Alan Banks 07 Die letzte Rechnung
durch die Landschaft gefahren bin. Ich weiß noch, dass ich irgendwo angehalten habe und an einem Fluss entlanggelaufen bin. Es war sehr kalt.«
»War die Frau dunkelhäutig? Eine Inderin oder Pakistanerin?«
Tom schaute sie überrascht an. »Nein.«
Susan holte ihren Notizblock und einen Stift hervor. »Wie hat sie ausgesehen?«
Tom schloss seine Augen. »Ich sehe sie ganz deutlich vor mir«, sagte er, »als wäre es gestern gewesen. Sie war jung, viel jünger als Dad. Wahrscheinlich Mitte zwanzig, schätze ich. Nicht viel älter als ich. Sie hat gesessen, deshalb konnte ich ihre Figur nicht genau erkennen, aber ich hatte den Eindruck, dass sie gut war. Also, die Frau sah nicht dick aus oder so. Sie sah wohlproportioniert aus. Sie trug eine Bluse aus einem glänzenden weißen Stoff und irgend so ein Tuch oder Schal um ihre Schultern, ganz in Blau, Weiß und Rot. Er hatte eines von diesen Freiheitsmustern. Ihre Finger waren lang, das ist mir aus irgendeinem Grund aufgefallen. Bin ich zu schnell?«
»Nein«, antwortete Susan. »Ich habe meine eigene Kurzschrift entwickelt. Reden Sie weiter.«
»Lange, schlanke Finger. Die Nägel waren nicht lackiert, aber sie sahen sehr gepflegt aus, nicht abgekaut oder so. Ihr Haar war blond. Nein, das stimmt nicht ganz. Es war eine Art rötliches Blond. Es war oben aufgetürmt und verknotet, ein paar lose Strähnen fielen auf ihre Wangen und Schultern. Kennen Sie den Look? Auf gekonnte Weise unordentlich.«
Susan nickte. So eine Frisur kostete ein Vermögen.
»Sie war außergewöhnlich gut aussehend«, fuhr Tom fort. »Sehr feine, blasse Haut. Ein makelloser Teint, wie Marmor, fast durchsichtig. Man konnte fast die blauen Äderchen durchschimmern sehen. Und ihre Gesichtszüge sahen aus, als hätte ein Bildhauer sie gemeißelt. Hohe Wangenknochen, eine schmale, gerade Nase. Ihre Augen hatten einen auffallenden Blauton. Vielleicht hat sie Kontaktlinsen getragen, auf jeden Fall waren sie hellblau, aber ein sehr strahlendes Hellblau. Ein Kobaltglanz, würde ich sagen. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Ja. Fahren Sie fort.«
»Das war es eigentlich. Keine Schönheitsflecken oder so etwas. Außerdem trug sie lange, baumelnde Ohrringe. Lapislázuli. Keine Ringe, glaube ich.«
»Das ist eine sehr gute Beschreibung, Tom. Glauben Sie, Sie könnten mit einem Polizeizeichner daran arbeiten? Ich nehme an, wir werden uns mit dieser Frau unterhalten müssen, und Ihre Beschreibung könnte uns helfen, sie zu finden.«
Tom nickte. »Kein Problem. Ich könnte sie selbst aus dem Gedächtnis zeichnen, wenn ich das Talent dazu hätte.«
»Gut. Dann arrangieren wir das. Vielleicht heute Abend?«
Tom schaute wieder auf seine Uhr. »Ich denke, ich gehe jetzt besser nach Hause. Mura und Alison brauchen meinen Beistand.«
»Haben Sie Ihren Vater jemals mit Ihrer Beobachtung konfrontiert?«
Tom schüttelte den Kopf. »Einmal war ich kurz davon, als er mir vorgehalten hat, wie enttäuscht er von mir wäre und wie krank ich wäre. Da habe ich ihm gesagt, dass auch ich von ihm enttäuscht bin, aber ich habe nicht erklärt, warum.«
»Was hat er darauf gesagt?«
»Nichts. Er hat so getan, als hätte er nichts gehört.«
»Weiß Ihre Mutter davon?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Sie weiß es nicht. Da bin ich mir sicher.«
»Glauben Sie, dass sie etwas vermutet?«
»Vielleicht. Wer weiß? Sie lebt in einer Traumwelt. Ich mache mir wirklich Sorgen um sie. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie unter den ganzen Lügen die Wahrheit erkennt, aber sie will sie sich einfach nicht eingestehen. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Ja. Was ist mit Alison?«
»Alison ist wirklich ein süßes Ding, aber sie hat nicht die geringste Ahnung. Sie lebt nur in ihren Büchern. Alison ist verrückt nach den Brontes. Sie liest nichts anderes. Außerdem schreibt sie ganze Notizbücher voll mit eigenen Geschichten, alle in winziger Handschrift verfasst, genau so wie die Bronte-Schwestern es als Kinder gemacht haben. Sie hat sich ihre eigene Welt geschaffen. Ich habe immer gedacht, dass sie einmal dort herauswächst, aber ... ich weiß auch nicht ... es scheint noch schlimmer geworden zu sein, seit... seit Dad ...« Er schüttelte langsam den Kopf. »Nein, sie weiß nichts davon. Ich habe es ihr nicht anvertraut, sondern alles für mich behalten. Können Sie sich das vorstellen? Ich habe es noch niemandem erzählt. Sie
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