Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel
war.
Leider war dieses Mal kein Hautgewebe unter den Fingernägeln gefunden worden. Ihre Fingernägel waren so schlimm abgekaut, dass sie mit einer übel schmeckenden Chemikalie behandelt worden waren, um sie vom Kauen abzuhalten.
Laut Laborbericht war am Tatort zwar einzig und allein Blut der Verstorbenen gefunden worden, aber an ihrer Kleidung waren mehrere Haare, die nicht von der Leiche stammten. Angesichts der Tatsache, dass sie auf einem gut besuchten Ball gewesen war, keine Überraschung. Belastend war allerdings, dass vier dieser Haare mit denen übereinstimmten, die auf Deborah Harrisons Schulblazer gefunden worden waren. Sie waren bereits mit den Proben, die Owen Pierce vor fast acht Monaten abgegeben hatte, verglichen worden.
Wie der Prozess gegen Pierce gezeigt hatte, konnte man sich auf Haare als Beweismaterial nicht verlassen. Banks quälte sich durch weitere, im Fachjargon verfasste Texte über Melanin und fragmentierte Medulla und führte sich dann die Neutronenanalyse zu Gemüte, auf dem die Konzentration verschiedener im Haar enthaltener Elemente wie Antimon, Bromin, Lanthan, Strontium und Zink dargelegt worden war.
Das Labor benötigte eine weitere Haarprobe des Verdächtigen, stand in dem Bericht, da das Verhältnis dieser Elemente sich seit der Entnahme der letzten Proben leicht verändert haben könnte, doch schon jetzt konnte man sagen, dass das Haar mit einer Wahrscheinlichkeit von viertausendfünfhundert zu eins von niemand anderem stammte als von Pierce.
Leider haftete an den Wurzeln der Haare kein follikuläres Gewebe; genauer gesagt fehlte jedem gefundenen Haar die Wurzel, so dass es unmöglich war, die Blutgruppe zu ermitteln oder eine DNA-Analyse durchzuführen.
Wie bei dem Mord an Deborah Harrison hatten die Abstriche weder in Mund, Vagina oder Anus Samenspuren zu Tage gefördert und es gab auch keine anderen Hinweise auf eine sexuelle Betätigung.
Doch die Haare und die Fingerabdrücke, die Vic Manson auf dem Filmbehälter gefunden hatte, würden wahrscheinlich zu einer Verurteilung führen, vermutete Banks. Dieses Mal würde Pierce nicht durch die Maschen schlüpfen.
Auf gewisse Weise war Banks traurig. Er war beinahe zu der Überzeugung gelangt, dass Pierce ein unschuldiges Opfer des Systems gewesen und dass Deborahs Mörder in ihrem näheren Umfeld zu finden war. Jetzt sah es so aus, als hätte er sich schon wieder geirrt.
Er schaltete auf Radio 3 um, wo sich die Sendung »Komponist der Woche« Gerald Finzi widmete, und begann, sich Notizen für das Treffen zu machen, das er bald mit Stafford Oakes haben würde.
Um halb zwölf wurde es allmählich lauter im Revier. Pierce war auf dem Weg ins Gericht, wo entschieden wurde, ob er in Untersuchungshaft oder auf Kautions freikam, ständig klingelte irgendwo ein Telefon und an jedes Fenster des Gebäudes presste ein Reporter seine Nase. Banks fand, dass es Zeit war, sich durch den Seitenausgang hinauszuschleichen und ein frühes Mittagessen einzunehmen.
Er öffnete die Tür und steckte seinen Kopf hinaus, um draußen auf dem Flur die Lage zu peilen. Eine Menge Betriebsamkeit, aber niemand schenkte ihm besondere Beachtung. Anstatt den üblichen Weg hinab zum Haupteingang zu nehmen, schlich er zum Notausgang, der auf eine enge Gasse, den Skinner's Yard, gegenüber dem Golden Grill führte.
Er war noch nicht ganz am Ende des Flures angelangt, als er hinter sich jemanden rufen hörte. Sein Herz blieb stehen.
»Chief Inspector?«
Gott sei Dank nicht Jimmy Riddle. Er drehte sich um. Es war Inspector Barry Stott und er sah bekümmert aus. »Barry. Was ist? Kann ich etwas für Sie tun?«
»Kann ich kurz mit Ihnen sprechen? Privat?«
Banks schaute sich um, ob sie jemand beobachtete. Nein. Die Luft war rein. »Selbstverständlich«, sagte er, legte eine Hand auf Stotts Schulter und führte ihn zur Feuertür. » Lassen wir diesen Trubel hinter uns und gehen was trinken, okay?«
* II
Es war lange her, dass Rebecca hinausgegangen war, um mit dem Engel zu sprechen; an diesem Montag hatte sie jedoch wieder das Bedürfnis danach. Und dieses Mal war sie nicht betrunken.
Als sie von dem geteerten Hauptweg auf den Kiespfad bog, fragte sie sich, wie sie sich derartig in Owen Pierce hatte täuschen können. Sie erinnerte sich, welche Angst sie gehabt hatte, als sie ihn das erste Mal nach seiner Freilassung gesehen hatte, und dass er dann einem kleinen Jungen
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