Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel
ihm über die Müllkippe. Er sah sie kommen und machte sich aus dem Staub, direkt über die York Road und nach Richmond Hill. Als sie ihn schließlich schnappten, hatte er das Tagebuch nicht bei sich.«
Banks' Elan schwand. »Er hatte es nicht bei sich? Aber Ken ...«
»Immer mit der Ruhe, Kumpel. Er hat es anscheinend weggeworfen, als ihm klar wurde, dass man ihn verfolgte. Wollte wohl nicht mit belastendem Beweismaterial aufgegriffen werden. Auf jeden Fall sind unsere Leute den Weg zurückgegangen, den er genommen hat, und haben das Buch in einem Mülleimer in der York Road gefunden.«
Banks seufzte erleichtert auf.
»Was sollen wir mit ihm machen?«, fragte Blackstone. »Jetzt ist Mitternacht. Vor zwei Uhr morgens wird er nicht in Eastvale sein können.«
»Behaltet ihn über Nacht da«, sagte Banks. »Es gibt bei diesem Fall keinen Grund mehr zur Eile. Lass ihn morgen früh herbringen. Aber, Ken ...«
»Ja, es ist Deborah Harrisons Tagebuch.«
»Hast du es gelesen?«
»Genug.«
»Und?«
»Wenn es das bedeutet, was ich glaube, dann ist es Dynamit, Alan.«
»Erzähl.«
Und Blackstone erzählte es ihm.
* ZWANZIG
* I
Um zehn Uhr am nächsten Morgen, während Jelacic in einer Zelle im Keller schmorte, setzte sich Banks mit einem Kaffee an seinen Schreibtisch, zündete sich eine Zigarette an und schlug Deborah Harrisons Tagebuch auf. Am vergangenen Abend hatte ihm Ken Blackstone über das Telefon zwar das Wesentliche erzählt - und er hatte danach nicht gut geschlafen -, aber er wollte es selbst lesen, bevor er den nächsten Schritt unternahm.
Genau wie auf der Innenseite der Ranzenklappe hatte sie übermäßig ausführlich ihren Namen und ihre Adresse eingetragen: von »Deborah Catherine Harrison« bis zum »Universum«.
Zuerst überprüfte er den Adressenteil, fand aber außer den Namen, Adressen und Telefonnummern von Verwandten und Schulfreundinnen nichts Ungewöhnliches. Dann begann er durch die Seiten zu blättern.
Er bemerkte schnell, dass die meisten ihrer Einträge sachlich waren und sie sich kaum in einer Analyse oder in poetischen Wendungen versucht hatte. Manche Tage hatte sie völlig leer gelassen. Und erst im Sommer, als sie das Tagebuch angeblich »verloren« hatte, wurde es wirklich interessant:
5. August
Gähn. Das muss der langweiligste Sommer sein, den ich jemals erlebt habe. Heute bin ich im Swainsdale-Center einkaufen gegangen, nur um etwas zu tun. Was für ein trostloser Ort! Es gibt überhaupt keine vernünftigen Schuhe, und überall laufen Bauerntölpel umher und furchtbar verlotterte Frauen, die ihre noch furchtbareren, dreckigen Kinder hinter sich herziehen. Ich muss unbedingt Mami davon überzeugen, mich bald wieder nach Paris zum Einkaufen mitzunehmen, sonst schwöre ich, dass ich noch an der Langeweile dieser schrecklichen Provinzstadt sterbe. Im Einkaufszentrum traf ich diese gewöhnliche kleine Tussi Tiffy Huxtable vom Dressurreiten. Sie war mit ein paar Freunden dort und fragte mich, ob ich nicht etwas mit ihnen unternehmen will. Besonders interessant kamen sie mir nicht gerade vor. Sie saßen alle dumm und verwahrlost aussehend um den Springbrunnen herum, aber es war auch ein Junge dabei, der sich sehen lassen konnte, deshalb habe ich gesagt, ich komme vielleicht irgendwann einmal vorbei. Das Leben ist so (gähn) langweilig, dass ich es vielleicht wirklich tue. Ach, ich brauche unbedingt ein Abenteuer!
Für die nächsten Tage gab es keine Einträge, dann folgte dies:
9. August
Tiffys Clique ist ein Haufen dummer, gewöhnlicher Langweiler, genau wie ich gedacht hatte. Sie können nur über Fernsehen und Fußball und Sex und Popmusik reden. Ich meine, wen interessiert das? Ich bin mir sicher, dass keiner von ihnen in letzter Zeit ein Buch gelesen hat. Ganz ehrlich, da bleibe ich doch lieber zu Hause und schaue mir Videos an. Tracy Banks scheint ganz intelligent zu sein, aber dann erfuhr ich, dass sie die Tochter eines Polizisten ist. Auch das noch! Ein Junge sieht ein bisschen so aus wie dieser echt coole Schauspieler aus »Neighbours« und trägt eine tolle Lederjacke. Und er hat wirklich sehr schöne Augen mit langen Wimpern.
Danach begann sich alles schnell zu entwickeln:
12. August
John (Ach, welche Enttäuschung! Was für ein schrecklich gewöhnlicher, langweiliger und ordinärer Name. Genau wie »Tracy«!) hat heute Abend ein Auto gestohlen und mit
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