Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel
»Sergeant Hatchley wird mitschreiben. Keine Eile. Lassen Sie sich Zeit.«
Owen erzählte ihnen von seinem Spaziergang, von den Drinks im Nag's Head, vom Essen im Peking Moon und seinem Heimweg. Während er sprach, schaute ihn Stott direkt an. Das ernste, dreieckige Gesicht zeigte keine Regung und in den Augen lag ein kalter Blick. Die Ohren des Mannes hätten Owen fast zum Lachen gebracht, aber er riss sich zusammen. Der große Kerl, Hatchley, kritzelte in ein Notizbuch mit Spiralbindung. Owen war überrascht, dass er überhaupt schreiben konnte.
»Haben Sie die Angewohnheit, Selbstgespräche zu führen, Mr Pierce?«, fragte Stott, als er fertig war.
Owen errötete. »Ich würde es nicht gerade Selbstgespräche nennen. Manchmal bin ich einfach in Gedanken verloren und vergesse, dass andere Leute in der Nähe sind. Passiert Ihnen das nie?«
»Nein«, sagte Stott. »Das passiert mir nie.«
Nachdem sie ihn gebeten hatten, ein oder zwei wahllose Punkte noch einmal zu erläutern, klappte Hatchley schließlich sein Notizbuch zu und Stott stand auf. »Das wäre im Moment alles«, erklärte er.
»Im Moment?«
»Vielleicht müssen wir noch einmal mit Ihnen sprechen. Keine Ahnung. Zuerst müssen wir ein paar Dinge überprüfen. Haben Sie etwas dagegen, wenn wir auf dem Weg nach draußen einen Blick in den Schrank im Flur werfen?«
»Weshalb?«
»Routine.«
»Bitte schön. Ich kann Sie wahrscheinlich sowieso nicht davon abhalten.«
Stott und Hatchley durchsuchten die Reihe der Mäntel und Jacken und zogen Owens neuen orangefarbenen Anorak heraus. »Haben Sie den gestern Abend getragen?«
»Ja, habe ich. Aber ...«
»Und diese Schuhe?«
»Ja, die auch. Hören Sie ...«
»Was dagegen, wenn wir die Sachen mitnehmen, Sir?«
»Aber warum?«
»Ausschlussverfahren.«
»Sie meinen, es könnte helfen, diese Sache aufzuklären?«
Stott lächelte. »Ja, das könnte es. Wir werden sie Ihnen, so bald wir können, zurückbringen. Könnten Sie mir wohl eine Plastiktüte geben, während der Sergeant Ihnen eine Quittung ausstellt?«
Owen holte einen Mülleimerbeutel aus der Küche und beobachtete, wie Stott die Schuhe und den Anorak hineinsteckte, während Hatchley die Quittung ausstellte. Dann nahm er den Papierstreifen entgegen und unterzeichnete einen Beleg, der die Sachen als seine deklarierte.
Stott wandte sich an Hatchley. »Dann gehen wir mal lieber wieder, Sergeant«, sagte er. »Wir haben bereits genug von Mr Pierce' kostbarer Zeit geraubt.«
Hatchley nahm den Plastikbeutel, während Stott das Foto in seine Aktentasche steckte, dann gingen beide zur Tür.
»Wollen Sie mir nicht verraten, worum es eigentlich geht?«, fragte Owen erneut, als er die Wohnungstür für sie öffnete. Es regnete immer noch.
Stott drehte sich stirnrunzelnd um. »Das ist das Merkwürdige an der Sache, Owen«, erklärte er. »Dass Sie das nicht wissen.« Dann schüttelte er langsam den Kopf. »Wer würde glauben, dass Sie keine Zeitungen lesen? Das ist merkwürdig für einen gebildeten Mann, wie Sie es sind.«
* II
Tracys Zimmer, erleuchtet von einer abgedunkelten Tischlampe, war genau wie das von Deborah Harrison ein typisches Teenagerzimmer mit Postern von Popstars an den Wänden, einem tragbaren Kassettenrecorder, einem schmalen, normalerweise ungemachten Bett und auf dem ganzen Boden verstreuten Klamotten.
In Tracys Zimmer stand zudem ein Schreibtisch vor einer Wand und in ihren Regalen hatte sie vielleicht mehr Bücher als die meisten Mädchen ihres Alters. Sie deckten die gesamte Skala von Kenneth Grahames Der Wind in den Weiden bis zur Pelican-Weltgeschichte ab. Eine Sammlung Puppen und Teddybären saß auf dem untersten Brett des Bücherregals; sie erinnerten Banks immer daran, dass seine Tochter der Kindheit noch gar nicht so lange entwachsen war. Eines Tages würden sie verschwinden, so wie die meisten seiner eigenen Spielzeuge: das Fort mit den Soldaten, die elektrische Hornby-Eisenbahn, der MeccanoModellbaukasten. Er hatte keine Ahnung, wohin die Sachen verschwunden waren. Gemeinsam mit seiner kindlichen Unschuld.
Tracy lag in schwarzen Leggings und einem schlampigen Sweatshirt auf dem Bett. Sie sah aus, als hätte sie geweint. Als Banks im Büro die Nachricht von seiner Frau Sandra erhalten hatte, dass Tracy bedrückt war und mit ihm reden wollte, war er geradewegs nach Hause geeilt.
Jetzt saß Banks auf
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