Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel
SIEBEN
* I
Die Eastvaler Berufsfachschule war ein Mischmasch aus hässlichen Backstein- und Betongebäuden am äußersten südlichen Stadtrand, das von den letzten Wohnhäusern durch sumpfiges Brachland getrennt war. Außer dem Featherstone Arms auf der anderen Straßenseite und einem Industriegebiet sowie einem riesigen Reitstall ungefähr einen Kilometer entfernt gab es in der Gegend nicht mehr viel.
Auch die Schule selbst war ein trauriger Laden, dachte Owen bei einem Pint und einer dünnen Lasagne zum Mittag im Pub, und wenn er einen besseren Job kriegen könnte, würde er dort nicht unterrichten. Das Problem war nur, dass er mit einem Magister aus Leeds und einem weiteren von einer unbedeutenden kanadischen Universität nie einen besseren Job kriegen würde. Also war er dazu gezwungen, den Betriebswirtschafts-, Buchhaltungs- und Landwirtschaftsstudenten beizubringen, wie man vernünftige Sätze schrieb - eine Fähigkeit, von der sie im Grunde nichts wissen wollten. Von den literarischen Ambitionen, die er noch vor wenigen Jahren gehabt hatte, war er jetzt weit entfernt.
Aber im Moment hatte er dringendere Probleme als seine Dozentenkarriere: Er hatte die Polizei belogen und wahrscheinlich vermuteten sie das auch.
Zugegeben, es war keine schlimme Lüge gewesen. Außerdem hatte es die Polizei nicht zu interessieren. Er hatte gesagt, nie mit einer Frau zusammengewohnt zu haben, doch das stimmte nicht. Er hatte mit Michelle zusammengelebt, vor fünf Jahren. Und Michelle war die Frau auf den schwarz-weißen Aktfotografien.
Deshalb war Owen eigentlich nicht überrascht, als Stott und Hatchley in den Pub kamen und ihn baten, sie aufs Revier zu begleiten, um ein paar Punkte zu klären. Er war nervös, ja, aber nicht überrascht. Sie sagten, der Seminarleiter hätte ihnen erzählt, wo sie ihn finden könnten, und wären geradewegs herübergekommen.
Während des ersten Teils der Fahrt sprach keiner von ihnen. Sergeant Hatchley fuhr den ungekennzeichneten Rover und Inspector Stott saß auf dem Beifahrersitz. Owen konnte den akkurat geschnittenen Haaransatz in seinem Nacken und die wie Becherhenkel geformten Ohren sehen, auf denen die Brillenbügel saßen. Als sie sich dem Marktplatz näherten, betrachtete Owen durch das Fenster die düsteren, schattenhaften Gestalten, die ihre Hüte festhielten und von Laden zu Laden eilten.
»Ich nehme an, Sie hätten wohl nichts dagegen«, sagte Stott und wandte sich leicht um, »wenn wir es veranlassen würden, ein paar Proben zu nehmen?«
»Was für Proben?«
»Ach, nur das Übliche. Blut, Haare.«
»Muss das sein?«
»Lassen Sie es mich so ausdrücken: Sie sind nicht verhaftet, aber das Verbrechen, das wir untersuchen, ist tatsächlich sehr schwerwiegend. Es wäre für alle Beteiligten das Beste, wenn Sie uns Ihr Einverständnis geben und eine entsprechende Erklärung unterzeichnen würden. Zum Zwecke eines Ausschlussverfahrens.«
»Und wenn ich mich weigere? Was werden Sie dann tun? Werden Sie mich mit Gewalt festhalten, mir Haare ausreißen und eine Nadel in den Arm stechen?«
»Keineswegs. Der Superintendent würde eine Probennahme bewilligen. Aber das würde keinen guten Eindruck machen, oder? Besonders wenn der Fall vor Gericht kommt. Er hat sich geweigert, Proben nehmen zu lassen? Der Richter könnte das als Schuldeingeständnis werten. Außerdem werden die Proben natürlich vernichtet, sobald Sie von der Ermittlung ausgeschlossen sind. Keine Aufzeichnungen. Was sagen Sie?«
»Na gut.«
»Danke, Sir.« Stott drehte sich wieder nach vorn und nahm das Autotelefon. »Ich erlaube mir nur, Dr. Burns anzurufen und ihn zu bitten, aufs Revier zu kommen.«
Die Angelegenheit wurde schnell und gekonnt in einem freien Büro auf dem Polizeirevier erledigt. Owen unterschrieb die erforderlichen Formulare, rollte seinen Ärmel hoch und schaute weg. Er spürte nur einen kurzen, heftigen Stich, als die Nadel eindrang. Dann zog der Arzt ein paar Haare von seinem Kopf. Das tat ein bisschen mehr weh.
Das Verhörzimmer, in das sie ihn als Nächstes brachten, war ein trostloser Ort. Ein grauer Metalltisch, drei Stühle, von denen zwei am Boden befestigt waren, schmutzige Fenster aus dickem, mit Draht durchzogenem Glas sowie eine tote, an eine der anstaltsgrünen Wände geschmierte Fliege.
Es roch nach abgestandenem Rauch. Ein schwerer blauer Glasaschenbecher stand auf dem Tisch; er war leer, aber mit alten
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