Inspector Alan Banks 09 Das blutige Erbe
wirklich Jimmy Riddle geschlagen? Er wusste, dass er es getan hatte, und er wusste außerdem, dass er in dem Moment, als er voller Wut explodiert war, an Sandra gedacht hatte und nicht an seinen verdammten Job.
Das Haus war still und leer. Die Stille und die Leere hatten eine andere Qualität als früher. Zuerst machte er einen Rundgang, um zu sehen, ob etwas fehlte. Sandra hatte nicht viel mitgenommen. Die meisten ihrer Kleidungsstücke hingen noch im Schrank, die Kissen dufteten noch nach ihrem Haar und ihr Foto des dunstigen Sonnenuntergangs über Hawes hing noch über dem Kamin im Wohnzimmer.
Bei dem Anblick musste er daran denken, dass er erst am Sonntag, gestern also, im Regen von einem Amsterdamer Museum zum anderen gewandert war, wie ein Pilger, und im Rijksmuseum staunend vor Rembrandts Nachtwache gestanden hatte, verstört vor den Krähen im "Weizenfeld im Van-Gogh-Museum und schließlich begeistert vor den hellen, wunderlichen Chagalls im Stedelijk Museum.
Und die ganze Zeit hatte er daran gedacht, wie Sandra diese Ausstellungen lieben würde und wie gerne er sie zu einem Wochenendbesuch im Frühling einladen würde, vielleicht als verspätetes Geburtstagsgeschenk.
Aber Sandra war gegangen.
Er bemerkte das rote Licht, das am Anrufbeantworter aufblinkte. Mit dem Gedanken, es könnte Sandra sein, stand er auf und drückte auf die Abspieltaste. Ein Anrufer war Vic Manson, zwei hatten gleich wieder aufgelegt, doch die folgenden viermal war es Tracy. Bei ihrem letzten Versuch sagte sie: »Dad, bist du da? Es ist jetzt Sonntag. Ich habe das ganze Wochenende versucht, dich zu erreichen. Ich mache mir Sorgen um dich. Wenn du da bist, dann geh doch bitte dran. Ich habe mit Mami gesprochen, und sie hat mir erzählt, was geschehen ist. Es tut mir so Leid. Ich liebe dich, Daddy. Bitte ruf mich zurück.«
Einen Augenblick lang blieb Banks vor dem Telefon stehen, den Kopf in den Händen, Tränen brannten in seinen Augen. Dann tat er, was jeder vernünftige Mann in einer solchen Situation tun würde. Er drehte Mozarts Requiem so laut auf, wie er es ertragen konnte, und betrank sich nach Strich und Faden.
* ZWÖLF
* I
Als sich Banks gegen vier Uhr am Morgen auf dem Sofa rührte, spielte immer noch Mozarts Requiem. Er hatte die Repeat-Taste gedrückt. Und ein passenderes Musikstück konnte er sich auch nicht vorstellen. Da die Musik ziemlich laut war, war Banks überrascht, dass keiner seiner Nachbarn die Polizei gerufen hatte. Aber die Polizei war ja er. Jedenfalls bis gestern.
Am liebsten wäre er noch bewusstlos gewesen. Er stöhnte, rieb sein Stoppelkinn, rollte sich vom Sofa, um Kaffee aufzusetzen, und machte auf dem Weg in die Küche die Anlage leiser. Dann stolperte er nach oben und schluckte eine Hand voll Aspirintabletten, die er mit zwei Gläsern Wasser herunterspülte, um seine dehydrierten Gehirnzellen zu bewässern.
Als er wieder unten war und der Kaffee mit frustrierender Langsamkeit durch den Filter tröpfelte, begutachtete er den Schaden: zwölf Zigarettenkippen im Aschenbecher, keine Brandflecken auf Sofa oder Teppich, noch ein paar Schlucke Laphroaig in der Flasche. Wenn er seinen Alkoholkonsum weiterhin steigerte, würde er anfangen müssen, billigeren Scotch zu kaufen. Aber es hätte alles auch schlimmer kommen können, dachte er, besonders als er sich daran erinnerte, dass die Flasche nur noch ungefähr drei viertel voll gewesen war, als er angefangen hatte.
Nachdem der Kaffee fertig war, beschloss er, vom Requiem zur C-Moll-Messe zu wechseln, um etwas mehr Licht und Hoffnung in seine trostlose Welt zu bringen. Dann versuchte er, seine Gedanken zu ordnen.
Die erste Erinnerung, die zurückkam, war, dass er Jimmy Riddle geschlagen hatte. Und seine wunden Knöchel bewiesen es. Gut, es war eine Dummheit gewesen, dachte er jetzt, und sie hatte wahrscheinlich seine Karriere zerstört.
Er war also arbeitslos. Und ohne Frau und verkatert. Wenigstens der Kater würde vorübergehen. Es könnte wirklich schlimmer sein, oder? Ja, er wusste, dass es schlimmer sein könnte. Man hätte eine unheilbare Krankheit bei ihm diagnostizieren können. Er zerbrach sich den Kopf darüber, ob das tatsächlich geschehen war, aber er hatte keine Erinnerung daran. So, wie sich seine Lunge nach all den Zigaretten anfühlte, würde es wahrscheinlich bald geschehen.
Was sollte er nun machen? Privatdetektiv werden? Ins Kloster gehen? Einen Job bei einer
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