Inspector Alan Banks 09 Das blutige Erbe
müssen an unsere langfristige Mission denken und wir müssen diese einmalige Gelegenheit nutzen, um ein bisschen öffentliche Sympathie zu erhalten. Denkt an all die Burschen, die jetzt zu Hause sitzen und sich nicht trauen, Partei zu ergreifen. Sie wissen, dass wir Recht haben, aber sie trauen sich nicht, diesen letzten Schritt zu gehen und es zuzugeben. So etwas könnte die Zahl unserer Mitglieder erheblich erhöhen. Ein guter, arischer Junge, der das ganze Leben noch vor sich hatte, ermordet von pakistanischem Einwandererpack. Das treibt die Unentschlossenen in unser Lager.«
Einige Mitglieder murmelten beifällig. »Aber wir können den Mord an Jason doch nicht ungerächt lassen, oder?«, sagte einer von ihnen. »Man wird uns für feige halten.«
»Manchmal muss man seine Rache zugunsten größerer Ziele aufschieben, Mick. Mehr sage ich nicht. Und darin liegt Stärke und nicht etwa Feigheit oder Schwäche. Glaubt mir. Die Zeit der Rache wird kommen. Denkt daran, die Schweine, die Jason ermordet haben, sind davongekommen, weil unser korruptes Justizsystem auf ihrer Seite steht. Aber was würde passieren, wenn jetzt jemand von uns geschnappt wird, weil er einen Paki fertig gemacht hat? Hä? Beantwortet mir diese Frage.« Niemand tat es. Sie schauten alle, als würden sie die Antwort bereits kennen. Motcombe sah auf seine Uhr. »Ich muss jetzt gleich los, ich habe eine Menge zu erledigen, aber es spricht nichts dagegen, dass ihr hier bleibt und Totenwache für Jason haltet, wenn ihr wollt. Ihr habt alle eure Befehle bekommen. Die Versammlung ist beendet.«
Dann kippte Motcombe den Rest seines Orangensaftes hinunter. Craig war aufgefallen, dass er im Gegensatz zu den anderen nie Alkohol trank oder rauchte. Die Leute standen auf und gingen durch den Raum, manche machten sich auf den Weg hinab an die Theke, um mehr Pints zu holen. Das Letzte, was Craig von Motcombe sah, war, dass er mit zwei Zellenführern aus Bradford den Raum verließ, jeweils einen Arm auf die Schultern der beiden gelegt, vertieft in ein leises Gespräch.
Nev mochte persönliche Unterredungen und hielt die linke Hand immer von der rechten getrennt. Was auch immer er mit ihnen beredete oder sie zu tun bat, man konnte darauf wetten, dass es nichts damit zu tun hatte, was er und Craig während der letzten Wochen besprochen hatten.
Craig warf seine Zigarette aus dem Fenster in die verregnete Nacht, holte tief Luft und ging hinüber, um Jasons Tod mit Ray aus Leeds und Dogface Russell aus Horsforth zu betrauern.
* VII
Es war bereits spät am Abend, als Banks, nach einem kurzen Stopp im Revier auf dem Rückweg von Lynd-garth, nach Hause kam. Er war müde.
Sandra saß an einem Tisch im Wohnzimmer, ihr langes, blondes Haar hinter die Ohren geklemmt, und sortierte Dias, die sie der Reihe nach vor die Schreibtischlampe hielt, jedes einzelne genau betrachtend.
»Auch einen Drink?«, fragte Banks.
Sie schaute nicht auf. »Nein, danke.«
Schön. Banks ging zum Cocktailschrank und schenkte sich einen kleinen Laphroaig ein, dachte einen Moment nach und fügte dann noch einen Schluck hinzu. Er nahm die Abendzeitung vom Couchtisch und setzte sich aufs Sofa.
»Harter Tag?«, fragte er.
»Geht so«, sagte Sandra, ohne das Dia aus den Augen zu lassen, das sie gerade hochhielt. »Viel zu tun.«
Banks schaute ein paar Minuten in die Zeitung, ohne etwas aufzunehmen, und ging dann hinüber zur Stereoanlage. Er wählte eine CD mit Arien von Angela Gheorghiu. Die erste hatte kaum begonnen, da schaute Sandra stirnrunzelnd herüber. »Muss das sein?«
»Was ist?«
»Musst du das jetzt hören?«
»Was hast du dagegen?«
Sandra seufzte und wandte sich wieder ihren Dias zu.
»Im Ernst«, setzte Banks nach. »Ich will es wissen. Was hast du dagegen? Ist es zu laut?«
»Nein, es ist nicht zu laut.«
»Was ist dann das Problem?«
Sandra legte das Dia etwas heftiger als nötig auf den Tisch. »Es sind Opernarien, verdammt nochmal, das ist das Problem. Du weißt genau, dass mir Oper manchmal auf die Nerven geht.«
Es stimmte, dass Sandra einmal einen Magneten an eines seiner Bänder mit der Götterdämmerung gehalten hatte. Aber das war Wagner gewesen und der war nur etwas für Kenner. Wer konnte jedoch etwas gegen Angela Gheorghiu haben, die Verdi sang? Sandra hatte ihn letzten Monat sogar begleitet, um La Traviata zu sehen, und sie hatte behauptet, es habe ihr
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