Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer
schön faul, besonders wenn sie bei ihrer Recherche nicht den Computer zu Rate ziehen können. Machen wir uns nichts vor: Wir stehen mit diesem Fall bei niemandem besonders weit oben auf der Prioritätenliste. Trotzdem, irgendein neugieriger oder pflichtbewusster Beamter könnte ja ein bisschen herumwühlen und etwas entdecken. Ich sag Jim, er soll noch ein Memo hinterherschicken.«
Annie schwieg. »Dir ist doch klar, dass wir eventuell nie herausfinden, wer sie umgebracht hat, oder?«
Banks trank aus und nickte. »Wenn es so kommen sollte, fertigen wir einen Abschlussbericht mit allen Beweisen an, die wir gesammelt haben, und schließen daraus auf die wahrscheinlichste Lösung.«
»Was glaubst du, wie du damit klarkommst?«
»Wie meinst du das?«
»Es ist dir wichtig geworden, nicht? Damit will ich nicht sagen, dass es mir egal ist. Ist es nicht. Aber für dich ist es was anderes. Es geht tiefer. Bei dir ist das irgendwie zwanghaft.«
Banks zündete sich eine Zigarette an. Dabei wurde ihm klar, wie oft er sich hinter dem Rauch einer Zigarette versteckte. »Einer muss sich doch darum kümmern.«
»Das klingt aber melodramatisch. Außerdem: Ist es wirklich so einfach?«
»Nichts ist einfach, oder?«
»Will heißen?«
Banks hielt inne und versuchte, seine verschwommenen Gedanken in Worte zu fassen. »Gloria Shackleton. Ich weiß, wie sie aussah. Ich habe eine Vorstellung von ihrem Charakter und ihren Wünschen, kenne ihre Freundinnen, weiß, wie gern sie sich vergnügte und unterhielt.« Er klopfte sich an den Kopf. »Sie ist für mich hier oben, und darauf kommt es an, schon ziemlich real. Irgendjemand hat ihr das alles genommen. Der hat sie erwürgt, fünfzehn oder sechzehn Mal auf sie eingestochen, ihre Leiche in Verdunkelungsvorhänge gewickelt und sie in einem Lagerschuppen vergraben.«
»Aber das ist schon Jahre her. Der Krieg ist schon ewig lang vorbei. Ständig wird irgendwo jemand umgebracht. Was ist an diesem Mord so besonders?«
Banks schüttelte den Kopf. »Weiß ich nicht. Eigentlich gar nichts. Zum Teil liegt es am Krieg selbst. Ich bin älter als du. Ich bin in seinem Schatten aufgewachsen, und er warf einen ziemlich langen Schatten auf alles, auch als er schon längst vorbei war. Ich wurde mit einer Lebensmittelkarte und einem Personalausweis geboren.« Er lachte. »Weißt du, es ist schon komisch, wie sich heutzutage alle dagegen wehren, registriert und gezählt zu werden, aber ich war damals als Kind stolz auf diesen Ausweis. Er verlieh mir sozusagen eine Identität, sagte mir, wer ich war. Vielleicht war das die Vorstufe für meinen Dienstausweis. Egal, in meiner Heimatstadt war alles voller Ruinen. Ich spielte dort herum - genau wie Adam Kelly. Und mein Dad besaß eine Sammlung von Kriegsmemorabilien, mit denen ich mich immer auf den Dachboden verdrückte und spielte, wenn er nicht da war - ein SS-Dolch, eine Nazi-Armbinde. Er hatte Bilder, die ich mir immer ansah, Fotos von den Kollaborateuren in Brüssel, wie sie an den Balkonen hängen. Das war eine andere Zeit, lange vor mir, aber auf gewisse Weise auch wieder nicht; eigentlich war sie mir sehr nah. Wir spielten immer >Kommandotrupp<. Wir gruben sogar Tunnel und taten so, als würden wir aus Gefangenenlagern flüchten. Ich kaufte jedes Buch über Soldaten und Bombenflugzeuge, das ich in die Hand bekam. Meine Kindheit und frühe Jugend waren vom Krieg geprägt. Irgendwie macht die Tatsache, dass so ein heimtückischer Mord gerade in einer Zeit verübt wurde, in der in der Welt dieses wilde Gemetzel im Gange war, das Ganze fast zu einer Art Karikatur, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Ich denke schon. Was stört dich sonst noch daran?«
»Jetzt kommt der einfache Teil. Soweit wir wissen, wurde Gloria nie vermisst gemeldet; es gab keinen Aufschrei. Es kommt einem vor, als sei es allen egal gewesen. Ich hatte mal einen Freund ... irgendwann erzähle ich dir mal von ihm. Egal, damals war es allen egal. Das finde ich furchtbar. Ich bin da wohl anders, habe immer mit jedem Mitleid, bin ein Naturtalent.« Banks lächelte. »Rede ich jetzt Blödsinn?«
Annie strich ihm mit den Fingern über den Arm. »Mir ist es auch nicht egal«, sagte sie. »Vielleicht nicht aus den gleichen Gründen und auf die gleiche Weise, aber ich meine es ehrlich.«
Banks sah ihr in die Augen. Er spürte, dass sie meinte, was sie sagte. Er nickte. »Das weiß ich. Gehen wir?«
Annie stand
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