Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer
entgegenkommender, doch schließlich war es ein Arzt aus einem der großen Londoner Krankenhäuser (denn es lag auf der Hand, dass Matthew krank und offenbar auf eigene Faust gegangen war), der mir das meiste erzählte.
Zuerst wusste er nicht, von wem ich sprach, weil der Name des Mannes, der gestern das Krankenhaus verlassen hatte, nicht bekannt war. Doch als ich ihm Matthew beschrieb, war er überzeugt, dass wir von derselben Person redeten.
Matthew war mit mehreren anderen britischen und indischen Soldaten aus einem japanischen Gefangenenlager in der Nähe von Luzon auf den Philippinen befreit worden. Wer er war, war nicht mit Sicherheit festzustellen, nur die letzten Fetzen seiner Uniform wiesen darauf hin, dass er Engländer war. Er hatte mit keinem der Soldaten gesprochen und keiner war am gleichen Ort oder zur gleichen Zeit wie Matthew gefangen genommen worden. Dementsprechend wusste niemand, woher er kam und wer er war.
Als ich den Arzt fragte, warum Matthew nicht redete und sich sogar weigerte, etwas aufzuschreiben, wenn ihm Papier und Stift angeboten wurden, machte er eine Pause und sagte dann: »Er leidet wahrscheinlich unter einer Form von Kriegsneurose. Deswegen teilt er sich nicht mit. Es gibt möglicherweise noch andere Probleme, aber genauer kann ich das leider nicht sagen.«
»Und deshalb will er nicht sprechen?«
Er hielt wieder inne, diesmal länger, und fuhr dann langsam fort: »Es tut mir Leid, Ihnen das zu sagen, aber als wir ihn einer gründlichen Untersuchung unterzogen, stellten wir unter anderem fest, dass seine Zunge herausgeschnitten wurde.«
Mir fiel nichts ein, das ich sagen konnte. Ich stand da, in meinem Kopf drehte sich alles, ich klammerte mich am Telefon fest, als sei es das Einzige, was mich noch auf der Erde hielt.
»Miss Shackleton? Miss Shackleton? Sind Sie noch da?«
»Ja ... Entschuldigung ... Fahren Sie bitte fort.«
»Ich bin derjenige, der sich entschuldigen muss. Ich muss Ihnen sehr kurz angebunden und grob vorkommen. Ich wusste nicht, wie ich es Ihnen sagen sollte. Wenn Sie wüssten ... was wir hier für Männer haben. Also ... ich entschuldige mich.«
»Schon gut, Doktor. Also ist Matthew körperlich unfähig zu sprechen.«
»Ja.«
»Aber schreiben könnte er, wenn er wollte?«
»Es spricht nichts dagegen. Die Finger der linken Hand sind leicht beschädigt, so als wären sie gebrochen gewesen und schlecht verheilt, aber seine rechte Hand ist gesund, und soweit ich sagen kann, scheint er Rechtshänder zu sein. Stimmt das?«
»Ja, Matthew ist Rechtshänder.«
»Dann kann ich nur vermuten, dass er es vorzieht, sich nicht mitzuteilen.«
»Was sollen wir tun?«
»Wie meinen Sie das?«
»Nun, er ist doch fortgelaufen, oder? Sollen wir ihn zurückschicken?«
»Darin sehe ich nicht viel Sinn«, antwortete der Arzt. »Und ehrlich gesagt brauchen wir hier jedes Bett. Nein, medizinisch können wir nichts mehr für ihn tun. Seine Wirbelsäule ist leicht gekrümmt, wohl zurückzuführen auf einen erzwungenen Aufenthalt in beengten Räumlichkeiten, beispielsweise in einer Kiste oder einem Käfig, hervorgerufen durch eine unsachgemäß gerichtete Fraktur. Außerdem wurde er in Arm und Magen geschossen. Die Wunden sind verheilt, aber nach dem Aussehen der Narben zu urteilen, war die Operation von schlechter Qualität.«
Ich schluckte, versuchte nicht an all das Leid zu denken, das der arme Matthew durchgemacht haben musste. »Und geistig?«
»Wie gesagt, wir wissen nicht genau, was nicht stimmt. Er verweigert sich der Kommunikation. Aber es ist ein gutes Zeichen, dass er nach Hause gekommen ist. Er kannte den Weg und brachte die Heimfahrt mit dem bisschen Geld zustande, das er mitnahm.«
»Mitnahm?«
»Ähm, ja. Aber machen Sie sich darüber keine Sorgen. Wir hatten ihn noch nicht mit Kleidung und Geld ausgestattet. Er nahm den Anzug eines anderen Patienten.«
»Wird es ...«
»Keine Sorge. Der andere Patient hat vollstes Verständnis. Er weiß selbst, was Ihr Bruder durchgemacht hat. Bitte machen Sie sich darüber keine Gedanken.«
»Aber das Geld!«
»Es war nicht viel. Reichte gerade für die Zugfahrkarte und vielleicht ein bisschen zu essen.«
»Er sieht aus, als hätte er seit Monaten nichts gegessen. Kann er behandelt werden? Wird es ihm besser gehen?«
»Das ist unmöglich zu sagen. Es gibt Behandlungsmöglichkeiten.«
»Und die
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