Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer

verabredet, sich in Amerika zu treffen oder Ähnliches? Schließlich wurde auch die 448. Bombergruppe ungefähr zu der Zeit abgezogen, oder nicht?«
      »Ich nehme schon an, dass ich daran dachte. Es war immerhin möglich, dass sie irgendwann nach Amerika gehen würde.«
      »Wunderte es Sie nicht, dass sie sich nicht mehr meldete?«
      »Doch. Aber ich konnte nichts dagegen tun, wenn sie unbedingt verschwinden und alle Brücken hinter sich abbrechen wollte. Wie gesagt, das hatte sie schon einmal getan.«
      »Haben Sie versucht, sie ausfindig zu machen?«
      »Nein.«
      »Sonst jemand?«
      »Nicht, dass ich wüsste.«
      »Was war mit Matthew?«
      »Was soll mit ihm sein?«
      »Haben Sie ihn getötet?«
      »Habe ich nicht. Er beging Selbstmord.«
      »Warum?«
      »Es hatte nichts mit Glorias Verschwinden zu tun. Er war krank, durcheinander, depressiv, hatte Schmerzen. Ich tat mein Bestes, aber letztendlich war es sinnlos.«
      »Er Hat sich erschossen, nicht wahr?«
      »Ja.«
      »Mit einer .45 Colt Automatic.«
      »Ja? Ich kenne mich leider überhaupt nicht mit Waffen aus.«
      »Woher hatte er den Revolver?«
      »Den Revolver? Entschuldigen Sie, ich kann Ihnen nicht folgen.«
      »Eine einfache Frage, Ms. Elmsley. Woher hatte Matthew den Revolver, mit dem er sich erschoss?«
      »Den hatte er schon immer.«
      »Immer? Seit wann?«
      »Weiß ich nicht. Seit er aus dem Krieg zurückkam, nehme ich an. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich ihn zum ersten Mal sah.«
      »Also aus dem japanischen Kriegsgefangenenlager?«
      »Ja.«
      Banks erhob sich kopfschüttelnd.
      »Stimmt etwas nicht, Chief Inspector?«, fragte Vivian und zupfte an der lockeren Haut unter ihrem Kinn herum.
      »Nichts«, antwortete Banks. »Das Ganze ergibt überhaupt keinen Sinn. Denken Sie bitte darüber nach, was Sie uns erzählt haben, ja? Sie erzählen uns, Sie hätten geglaubt, Gloria habe einfach ihr Säcklein geschnürt und sei gegangen, ohne ein Wort zu sagen, habe ihre Kleider und ein paar persönliche Gegenstände in ihrem Pappkoffer mitgenommen. Wenn Sie die Wahrheit sagen, dann muss derjenige, der Gloria tötete, den Koffer gepackt und ihn entweder mitgenommen oder woanders vergraben haben, damit es aussah, als sei sie davongelaufen. Dann erschießt sich Ihr Bruder Matthew fünf Jahre später mit einem amerikanischen Dienstrevolver, den er als Souvenir aus einem japanischen Kriegsgefangenenlager mitbrachte. Sie schreiben Detektivgeschichten. Fragen Sie sich, ob Ihr Inspector Niven das glauben würde. Fragen Sie sich, ob Ihre Leser das schlucken
    würden.« Er griff in seine Tasche. »Hier ist meine Karte. Ich möchte, dass Sie ernsthaft über unser kleines Gespräch nachdenken. Wir kommen wieder. Bald. Machen Sie sich keine Mühe, wir finden hinaus.«
      Als sie wieder draußen in der Hitze standen, pfiff Annie und sagte: »Was sollte das denn?«
      »Was?«
      »Sie hat gelogen. Hast du das nicht gemerkt?«
      »Natürlich.« Banks sah auf die Uhr. »Lust auf eine Kleinigkeit zu essen?«
      »Ja. Ich hab Hunger.«
      Sie fanden ein kleines Café und setzten sich nach draußen. Annie wählte einen griechischen Salat und Banks entschied sich für ein Sandwich mit Prosciutto, Provolone und roten Zwiebelringen.
      »Aber warum hat sie gelogen?«, fragte Annie, als sie mit den Tellern wieder Platz genommen hatten. »Das will mir nicht in den Kopf.«
      Banks verjagte eine Fliege von seinem Sandwich. »Sie schützt sich. Oder jemand anderen.«
      »Jetzt, wo ich sie gesehen habe, würde ich sagen, sie war bestimmt groß und stark genug, um Gloria zu töten und zu vergraben. Jedenfalls vor fünfzig Jahren. Sind dir ihre Hände aufgefallen?«
      »Ja. Und Gloria Shackleton war zierlich.«
      »Und, was machen wir jetzt?«
      »Nichts«, erwiderte Banks. »Wir lassen sie über Nacht schmoren und versuchen es morgen noch einmal. Ich habe den Eindruck, dass ihr Gewissen sehr belastet ist. Sie kämpfte die ganze Zeit mit sich selbst. Wenn ich mich nicht irre, ist sie mit ihren Kräften am Ende. Es ist erstaunlich, wie das Schuldbewusstsein in den frühen Morgenstunden an einem nagen kann. Sie will die Wahrheit sagen, aber sie muss noch einiges gegeneinander abwägen, mit sich ins Reine kommen. Sie weiß noch nicht genau, wie sie es angehen soll. Das ist wie bei der Figur in ihrem Buch.«
      »Das du im Zug gelesen hast?«
      »Schuldige Geheimnisse,