Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer
immer gearteten früheren Londoner Leben abgebrochen, bevor sie nach Hobb's End kam. Ich glaube, Gloria war nicht besonders stark, wenn es ums Durchhalten ging.«
Wohl möglich, dachte Banks. Wenn man sich einmal von seinem Leben verabschiedet hatte, war es wahrscheinlich nicht sonderlich schwer, das noch einmal zu tun. Aber Gloria Shackleton hatte sich nicht von Hobb's End verabschiedet, rief er sich in Erinnerung; sie war dort ermordet und verscharrt worden.
»Wann verschwand sie?«, fragte er.
»Kurz nach der deutschen Kapitulation. Ungefähr eine Woche darauf.«
»Ihnen muss klar sein, dass der Fundort den Verdacht in erster Linie auf Ihren Bruder fallen lässt. Gloria wurde im Schuppen neben Bridge Cottage vergraben. Damals wohnte Matthew dort mit ihr.«
»Aber er war nie gewalttätig. Ich habe ihn nie als gewalttätig erlebt. Nie.«
»Der Krieg kann einen Menschen ändern.«
»Trotzdem.«
»Ging er oft aus?«
»Wie meinen Sie das?«
»Nach seiner Rückkehr. Ging er oft aus? War Gloria oft allein zu Haus?«
»Manchmal ging er abends in den Pub. Ins Shoulder of Mutton. Ja, manchmal war sie allein.«
»Sprach Gloria Ihnen gegenüber jemals übers Weggehen?«
»Sie deutete es ein- oder zweimal an, aber ich nahm es nicht ernst.«
»Warum nicht?«
»Das war so ihre Art. Sie tat so, als mache sie Witze. So in der Art: >Eines Tages wird mein Prinz kommen. Ich werde dies alles hinter mir lassen und ungeahnten Reichtum erlangen<. Gloria träumte gerne, Chief Inspector. Ich hingegen war schon immer sehr realistisch.«
»Das könnte man bestreiten«, sagte Banks. »Wenn man bedenkt, womit Sie Ihr Geld verdienen.«
»Vielleicht sind meine Träume sehr realistisch.«
»Vielleicht. Aber obwohl sie es andeutete, glaubten sie nicht, dass Gloria gehen würde?«
»Nein.«
»Wie waren die genauen Umstände, als sie verschwand?«, fragte Banks. »Bekamen Sie es mit?«
»Nein. Es war an einem der Tage, als ich mit Matthew zu seinem Arzt nach Leeds fuhr. Als wir abends zurückkamen, war sie fort.«
»Sie begleiteten ihn? Warum nicht Gloria? Sie war immerhin seine Frau.«
»Und er war immerhin mein Bruder. Nun ja, sie bat mich gelegentlich darum. Es war die einzige Ruhepause, die sie sich gönnte. Sonst pflegte sie ihn rund um die Uhr. Ich fand es nur gerecht, dass sie hin und wieder etwas Zeit für sich hatte.«
»Nahm sie etwas mit, als sie ging?«
»Einige Kleidungsstücke, persönliche Dinge. Sie besaß nicht viel.«
»Aber ihre Kleidung nahm sie mit?«
»Ja, einige Stücke.«
»Das ist ja interessant. Wie transportierte sie die?«
»In einem alten Pappkoffer. Den sie auch bei ihrer Ankunft dabeihatte.«
»Hinterließ sie eine Nachricht?«
»Nicht, dass ich wüsste. Wenn Matthew etwas fand, so wies er mich nie darauf hin.«
»Hätte er es denn getan?«
»Wahrscheinlich nicht. Er war nicht sonderlich mitteilsam. In seinem Zustand ist es unmöglich zu sagen, was er getan hätte.«
»Mord?«
»Nein. Nicht Matthew. Ich habe Ihnen schon gesagt, dass er von sanfter Natur war. Selbst die furchtbaren Erlebnisse des Krieges und seine Krankheit konnten das nicht ändern, auch wenn sie alles andere umkrempelten.«
»Aber Glorias Habseligkeiten fehlten definitiv?«
»Ja.«
»Und Sie und Matthew waren in Leeds, während sie sich davonmachte?«
»Ja.«
»Sie hat sich also nicht verabschiedet?«
»Manchmal ist das besser so.«
»Das stimmt.« Banks erinnerte sich, dass Sandra ihm nur wenig Zeit für einen langwierigen Abschied gegeben hatte, nachdem sie sich einmal dazu entschlossen hatte. Er hielt kurz inne. »Ms. Elmsley«, sagte er, »angesichts dessen, was Sie nun wissen, warum glauben Sie, dass Kleidung und Koffer fehlten? Was, glauben Sie, passierte damit?«
»Ich habe keine Ahnung. Ich erzähle Ihnen nur, was ich damals bemerkt habe. Was meiner Meinung nach geschehen ist. Vielleicht hat sie jemand gestohlen ? Vielleicht überraschte Gloria einen Einbrecher und er brachte sie um?«
»Waren das besonders schöne Sachen? Vielleicht Nerze, ein paar Diamantketten? Die eine oder andere Tiara?«
»Machen Sie sich nicht lächerlich!«
»Nicht ich mache mich hier lächerlich. Sehen Sie, es kommt nicht oft vor, dass jemand wegen seiner Kleidung ermordet wird, besonders wenn es sich um normale Sachen
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