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Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer

Titel: Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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und der braunen Kniebundhose aus Kord sah sie wie ein Filmstar aus.
      Sie war nicht sehr groß, vielleicht einen Meter fünfundfünfzig oder sechzig, aber die langweilige Uniform konnte nicht die Art von Figur verbergen, der Männer auf der Straße hinterherpfiffen. Sie hatte ein blasses, herzförmiges Gesicht, eine perfekt proportionierte Nase sowie einen schön geschwungenen Mund und die größten, tiefsten blauen Augen, die ich je gesehen hatte. Das blonde Haar rauschte unter einem braunen Filzhut hervor, den sie keck übers Ohr geschoben hatte und mit einer Hand festhielt, als sie von der Straße hereinkam.
      Ich musste sofort an Hardys Roman Blaue Augen denken, den ich nur wenige Wochen zuvor gelesen hatte. Wie bei Elfride Swancourt lag in den Augen dieses Landmädchens »ihr ganzes Wesen«. Sie hatten »ein dunstig verschattetes Blau ohne Konturen, ein Blau, das man nicht ansah, sondern in das man hineinsah.« Und diese Augen vermittelten das Gefühl, der einzige Mensch auf der Welt zu sein, wenn sie mit einem sprach.
      »Grässlich draußen, nicht wahr? Sie haben nicht zufällig fünf Woodbines zu verkaufen?«, fragte sie.
      Ich schüttelte den Kopf. »Tut mir Leid«, antwortete ich. »Wir haben überhaupt keine Zigaretten.« Es war eine der härtesten Zeiten, die wir bis dahin im Krieg erlebt hatten: Die deutsche Luftwaffe legte mit ihren Bomben unsere Städte in Schutt und Asche; im Atlantik versenkten deutsche U-Boote mit alarmierender Regelmäßigkeit unsere Geleitzüge; und die Fleischration war gerade auf ein Schilling zehn Pence die Woche gekürzt worden. Und da kam diese Fremde frech wie Oskar in den Laden und verlangte so mir nichts, dir nichts einfach Zigaretten!
      Es war natürlich gelogen. Wir hatten Zigaretten, doch der kleine Vorrat unter der Ladentheke war unseren Stammkunden vorbehalten. Wir hatten mit Sicherheit nicht vor, sie an hübsche dahergelaufene Landmädchen zu verkaufen, die Augen hatten wie in einem Roman von Thomas Hardy.
      Ich wollte ihr gerade sagen, sie solle doch mit ihren Augen einen der Flieger, die im Dorf herumzogen, anklimpern - den Mund zu halten war noch nie meine Stärke gewesen -, doch ihre Reaktion entwaffnete mich völlig.
      Zuerst schlug sie mit ihrer kleinen Faust auf den Verkaufstresen und fluchte. Sofort darauf biss sie sich auf die Unterlippe und setzte ein breites Lächeln auf. »Ich hatte es auch nicht angenommen«, sagte sie, »aber fragen kostet ja nichts. Vorgestern sind sie mir ausgegangen, und jetzt vergehe ich fast vor Schmacht. Na ja, da kann man nichts machen.«
      »Sind Sie das neue Landmädchen auf der Top Hill Farm?«, fragte ich, inzwischen neugierig geworden und wegen meiner Lüge mehr als ein bisschen schuldbewusst.
      Sie lächelte wieder. »Spricht sich schnell herum, nicht?«
      »Ist ein kleines Dorf.«
      »Stimmt. Ja, das bin ich. Gloria Stringer.« Sie streckte mir ihre Hand entgegen. Ich fand es eine ziemlich seltsame Geste für eine Frau, besonders in dieser Gegend, aber ich ergriff sie. Ihre Hand war weich und ein wenig feucht, sie fühlte sich an wie ein Blatt nach einem Sommerregen. Im Vergleich mit diesem so zarten Etwas war meine Hand rau und schwer. Ich war schon immer ein plumpes, linkisches Kind gewesen, doch hatte ich es nie so stark empfunden wie an diesem Tag, als ich Gloria kennen lernte. »Gwen Shackleton«, stammelte ich, reichlich beschämt. »Freut mich.«
      Gloria legte die Hand auf die Theke, schob eine Hüfte nach vorn und sah sich um. »Nicht viel los hier, oder?«, bemerkte sie.
      Ich lächelte. »Nicht viel.« Ich wusste natürlich, was sie meinte, aber es kam mir trotzdem sonderbar, wenn nicht sogar gefühllos vor, so etwas zu sagen. Ich stand jeden Morgen um sechs Uhr auf, um mich in den Laden zu stellen, außerdem ging ich einen Abend pro Woche auf Brandwarte - anfangs wurde es in unserer Gegend nicht ernst genommen, doch dann brannte im Februar Spinner's Inn durch eine verirrte Brandbombe nieder und zwei Menschen starben. Außerdem arbeitete ich in unserem Women's Voluntary Service, dem freiwilligen Frauendienst. An den meisten Tagen war ich nach den Neun-Uhr-Nachrichten völlig erschöpft und schlief ein, sobald mein Kopf auf dem Kissen lag.
      Ich wusste natürlich, worin die Aufgaben eines Landmädchens bestanden, aber nach ihrem Aussehen zu urteilen, besonders nach den zarten Händen, hätte ich schwören können, dass Gloria Stringer noch keinen Tag in ihrem Leben

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