Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer
schwere körperliche Arbeit geleistet hatte. Mein erster Gedanke war reichlich lieblos. Da ich den neugierigen Blick von Bauer Kilnsey kannte, dachte ich, dass er Gloria vielleicht eine neue Art zeigte, die Furche zu pflügen, wenn seine Frau nicht in der Nähe war. Obwohl ich nicht genau wusste, was das bedeutete - ich war damals erst sechzehn -, hatte ich schon mehr als einen Bauern diesen Ausdruck benutzen hören, wenn er dachte, ich sei außer Reichweite.
Doch damit lag ich ziemlich falsch, wie bei so vielen anfänglichen Einschätzungen von Gloria. Ihr frisches Aussehen war nur eine ihrer vielen beachtlichen Eigenschaften. Sie konnte den ganzen Tag lang heuen, dreschen, Erbsen puhlen, melken und Rüben ernten und dennoch frisch, lebhaft und energiegeladen aussehen, so als sei sie, anders als wir Normalsterblichen, von einem Schutzschild umgeben, dem die harte tägliche Plackerei nichts anhaben konnte.
Ich muss gestehen, dass ich Gloria Stringer auf den ersten Blick nicht leiden konnte; sie kam mir eitel, gewöhnlich, oberflächlich und selbstsüchtig vor. Und ihre Schönheit passte mir auch nicht. Die tat besonders weh.
Und dann musste ausgerechnet Michael Stanhope mitten in unsere Unterhaltung platzen.
Michael Stanhope galt im Dorf als eine Art Original, gelinde ausgedrückt. Er war ein mäßig erfolgreicher Künstler Anfang fünfzig und er hatte eine Neigung zu verwegenem Auftreten. Er schien sich immer größte Mühe zu geben, die Empfindungen anderer zu verletzen.
An jenem Tag war er mit einem zerknitterten weißen Leinenanzug bekleidet, darunter trug er ein schmuddeliges fliederfarbenes Hemd und eine schiefe gelbe Fliege. Auf dem Kopf hatte er seinen unvermeidlichen Hut mit der breiten Krempe und in der Hand hielt er seinen Stock mit dem Schlangenkopfgriff. Wie immer sah er arg ramponiert aus. Die Augen waren blutunterlaufen, seine Wangen von einem mindestens drei Tage alten Bart bedeckt und er dünstete einen Mief von abgestandenem Rauch und Alkohol aus.
Viele Menschen mochten Michael Stanhope nicht, weil er keine Angst hatte, seine Meinung zu sagen, und sogar auf den Krieg schimpfte. Ich mochte ihn eigentlich irgendwie, obwohl ich seine Ansichten nicht teilte. Meistens wollte er mit dem, was er sagte, einfach nur die Leute ärgern, zum Beispiel wenn er sich beschwerte, er könne keine Leinwand für seine Bilder bekommen, weil die Armee alles aufbrauchte. Das stimmte überhaupt nicht.
Aber ausgerechnet er musste in dem Moment hereinkommen.
»Guten Morgen, mein Engel«, sagte er wie immer, obwohl ich mich ganz und gar nicht engelhaft fühlte. »Ich hoffe, du hast meine übliche Ration?«
»Ähm, tut mir Leid, Mr. Stanhope«, stotterte ich. »Es ist nichts mehr da.«
»Nichts mehr da? Komm, Mädchen, komm, das kann nicht sein.« Er grinste und blickte schelmisch zu Gloria hinüber. Dann zwinkerte er ihr zu.
»Tut mir Leid, Mr. Stanhope.«
»Ich wette, wenn du an den richtigen Stellen suchst«, sagte er, beugte sich vor und klopfte mit dem Stock auf den Tresen, »dann findest du was.«
Ich wusste, dass ich verloren hatte. Ich errötete bis unter die Haarwurzeln, griff gedemütigt unter die Theke und holte zwei Päckchen Piccadilly hervor, die ich für ihn zur Seite gelegt hatte, wie ich es immer machte, wenn wir das Glück hatten, ein paar geliefert zu bekommen.
»Das macht einen Shilling acht, bitte«, sagte ich.
»Unerhört«, beschwerte sich Mr. Stanhope, während er nach den Münzen kramte, »wie uns diese Regierung mit Steuern ins Grab bringt, nur um Krieg führen zu können. Findest du nicht auch, mein Engel?«
Ich stammelte etwas Unverfängliches.
Die ganze Zeit hatte Gloria unserem kleinen Schauspiel mit wachsender Faszination zugesehen. Als ich Mr. Stanhope die Zigaretten aushändigte und ihr einen schuldbewussten Blick zuwarf, lächelte sie mich an und zuckte mit den Schultern.
Mr. Stanhope musste meine Geste bemerkt haben. Er nahm immer schnell jede Änderung der Atmosphäre wahr. Er weidete sich an solchen Dingen.
»Ah, verstehe«, sagte er, drehte sich zu Gloria um und ließ den Blick ungeniert auf ihrer Figur ruhen. »Könnte es sein, dass Sie sich ebenfalls nach Zigaretten erkundigt haben, meine Liebe?«
Gloria nickte. »Zufällig ja.«
»Hm«, machte Mr. Stanhope und legte den Messinggriff mit dem Schlangenkopf nachdenklich ans Kinn, »ich sage Ihnen was. Da ich rauchende Frauen
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