Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer
außerordentlich begrüße, können wir eventuell eine Art Absprache treffen. Ich habe nur eine Bedingung.«
»Oh«, sagte Gloria, verschränkte die Arme und kniff die Augen zusammen. »Und die wäre?«
»Dass Sie hin und wieder auf der Straße rauchen.«
Einen Augenblick lang starrte Gloria ihn an, dann begann sie zu lachen. »Das ist kein Problem«, sagte sie. »Das kann ich Ihnen versichern.«
Und er gab ihr eins seiner Päckchen.
Ich war platt. In jeder Packung waren zehn Zigaretten, und sie waren weder billig noch leicht zu bekommen.
Anstatt zu protestieren, sie könne das unmöglich annehmen, und ihm gleichzeitig für seine Großzügigkeit zu danken, wie ich es getan hätte, nahm Gloria das Päckchen entgegen und sagte: »Ach, vielen Dank auch, Mr. ...?«
Er strahlte sie an. »Stanhope. Michael Stanhope. Zu Ihren Diensten. Ist mir ein Vergnügen. Glauben Sie mir, meine Liebe, es ist wirklich ein außergewöhnliches Vergnügen, in einer Gegend wie dieser eine so attraktive Frau wie Sie kennen zu lernen.« Dann machte er einen Schritt auf sie zu und unterzog sie einer, wie ich fand, ziemlich unverschämten Musterung, so als würde ein Bauer ein Pferd untersuchen, das er zu kaufen beabsichtigte.
Gloria zuckte nicht mit der Wimper.
Als Mr. Stanhope fertig war, wollte er gehen, doch bevor er die Tür hinter sich schloss, warf er Gloria noch einen kurzen Blick über die Schulter zu. »Hören Sie, Sie müssen mich unbedingt einmal in meinem Atelier besuchen, meine Liebe. Sich meine Radierungen ansehen, sozusagen.« Und damit verschwand er, während er in sich hineinkicherte.
In dem nun folgenden Schweigen starrten Gloria und ich uns kurz an, dann prusteten wir los. Als wir uns wieder unter Kontrolle hatten, sagte ich ihr, es täte mir Leid, sie wegen der Zigaretten belogen zu haben, aber sie tat die Entschuldigung ab. »Du musst dich um deine Stammkunden kümmern«, sagte sie. »Und wir haben schwere Zeiten.«
»Ich muss mich auch für Mr. Stanhope entschuldigen«, sagte ich. »Er kann leider etwas unverschämt sein.«
»Quatsch«, erwiderte sie mit ihrem koboldhaften Grinsen. »Ich mochte ihn eigentlich. Und er hat mir ja die hier geschenkt.«
Sie öffnete die Packung und bot mir eine Zigarette an. Ich schüttelte den Kopf; damals rauchte ich nicht. Sie schob sich eine in den Mundwinkel und entzündete sie mit einem kleinen silbernen Feuerzeug, das sie aus ihrer Uniformtasche zog. »Auch gut«, meinte sie. »Ich sehe, ich muss eine Weile mit diesen hier auskommen.«
»Ich kann dir in Zukunft welche zur Seite legen«, sagte ich. »Ich meine, ich kann's versuchen. Hängt natürlich davon ab, wie viel wir bekommen.«
»Ach, wirklich? O ja, bitte! Das wäre herrlich! Wenn ich jetzt noch kurz einmal in die Filmzeitschrift da drüben schauen dürfte, die mit Vivien Leigh auf der Titelseite. Ach, ich finde Vivien Leigh so wunderbar, du auch? Sie ist so schön! Hast du schon Vom Winde verweht gesehen? Ich hab's im West End gesehen, bevor ich zur Ausbildung musste. Wirklich ...«
Doch bevor ich ihr die Zeitschrift holen oder ihr sagen konnte, dass Vom Winde verweht noch nicht so weit in den Norden vorgedrungen war, stürzte Matthew herein.
Beim Läuten der Klingel drehte sich Gloria mit neugierig erhobenen Augenbrauen um. Als er sie sah, blieb mein Bruder auf der Stelle stehen und fiel so tief in ihre Augen, dass man es plumpsen hören konnte.
***
Als Banks am Abend nach Hause kam, hörte er zuerst den Anrufbeantworter ab. Nichts. Verdammt. Nach dem verbockten Telefonat am Nachmittag wollte er die Dinge richtig stellen, aber er kannte Brians Nummer in Wimbledon ja nicht. Er wusste noch nicht einmal, wie Andrew mit Nachnamen hieß. Er konnte es-herausfinden - schließlich war er ja Kriminalbeamter -, aber das würde dauern, und es ging nur während der offiziellen Arbeitszeit. Sandra kannte die Nummer möglicherweise, aber mit ihr zu reden war das Letzte, was er tun wollte.
Banks schenkte sich einen Whiskey ein, schaltete die helle Deckenbeleuchtung aus und knipste die Leselampe neben dem Sessel an. Er griff zu dem Buch, das er in der letzten Woche gelesen hatte, eine Anthologie mit Lyrik des zwanzigsten Jahrhunderts, aber er konnte sich nicht darauf konzentrieren. Die blauen Wände lenkten ihn ab und der Geruch der Farbe zusammen mit der tiefen Stille der Umgebung versetzten ihn in eine einsame, ruhelose Stimmung. Er stellte
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