Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer
Außerdem: Wenn sich Sandra einen Lustknaben suchte und ihn mit nach Hause ins Bett nahm, war das doch wohl kaum die Schuld des Lustknaben, oder? Eher ihre. Aber die Vernunft hielt Banks nicht von dem Wunsch ab, den Kerl umzubringen.
An jenem Abend war er nach zu vielen Gläsern Whiskey wieder auf dem Sofa eingeschlafen, während Dylans Blood on the Tracks im CD-Spieler lief. Lange nachdem die Musik verklungen war, erwachte er aus einem Traum, dessen emotionale Intensität ihn in seinen Bann zog.
Darin hatte er allein an einem Kieferntisch in einer Küche gesessen, Sonnenlicht flutete durch die offenen Vorhänge und tauchte alles in ein warmes Honiggold. Die Wände waren von schmutzigweißer Farbe, über der Spüle und der Arbeitsplatte zog sich ein Streifen mit roten Fliesen; passend dazu die roten Dosen für Kaffee, Tee und Zucker auf der weißen Resopal-Arbeitsfläche und die Töpfe und Pfannen mit Kupferboden, die neben den Küchenmessern an einem Holzgestell hingen. Das Bild war unglaublich detailliert und klar; jede Maserung und jedes Astloch im Holz, jeder Schimmer des Lichts auf dem Stahl oder Kupfer strahlte übernatürlich hell. Er konnte selbst das warme Kiefernholz von Tisch und Einbauschränken sowie das Öl an den Scharnieren riechen.
Das war alles. Es passierte nichts. Nur ein Traum von Licht. Aber das intensive Wohlgefühl, das ihm dieses Bild vermittelte, warm und hell wie die Sonnenstrahlen selbst, durchströmte ihn noch beim Aufwachen, und er war enttäuscht zu sehen, dass er allein war und mit einem dicken Kopf auf dem Sofa in der Doppelhaushälfte in Eastvale lag.
Als Sandra einige Wochen später entschied, die Trennung solle von Dauer sein - wenigstens stände eine Versöhnung nicht unmittelbar bevor -, verkauften sie das Haus. Sandra bekam den Fernseher und den Videorekorder; Banks die Stereoanlage und den Löwenanteil der CD-Sammlung. Das war nur gerecht, schließlich war er es gewesen, der sie gesammelt hatte. Sie teilten die Kücheneinrichtung auf - aus einem unerfindlichen Grund nahm Sandra auch den Dosenöffner. Bücher und Kleidung stellten kein Problem dar. Der Großteil der Möbel wurde verkauft. Alles in allem -war es nicht besonders viel gewesen für eine über zwanzigjährige Ehe. Auch nach dem Verkauf war es Banks so gut wie egal, wo und wie er lebte, bis er nach ein paar Wochen in einem Bed & Breakfast, das den Reisebeschreibungen Bill Brysons hätte entsprungen sein können, seine Meinung änderte.
Er fing an, die Einsamkeit zu suchen. Als er das Cottage zum ersten Mal von außen sah, hielt er nicht viel davon. Der Blick aufs Tal war großartig, auch die durch den Wald garantierte Abgeschiedenheit, der Wildbach und der Eschenbestand zwischen dem Cottage und dem Dorf Gratly gefielen ihm sehr, doch war es ein gedrungenes, hässliches kleines Haus, an dem viel getan werden musste.
Das Cottage aus der in den Yorkshire Dales typischen Mischung von Kalksandstein, grobem Sandstein und Steinplatten war ursprünglich das Haus eines Landarbeiters gewesen. In den Sandstein über der Tür waren die Jahreszahl »1768« und die Initialen »J. H.« gemeißelt, wahrscheinlich das Baujahr und die Anfangsbuchstaben des ersten Besitzers. Banks fragte sich, wer J. H. wohl gewesen und was aus ihm geworden sei. Mrs. Perkins, die Vorbesitzerin, hatte ihre beiden Söhne und ihren Mann verloren und wollte nun endgültig zu ihrer Schwester nach Tadeaster ziehen.
Von innen machte das Haus anfangs auch keinen besseren Eindruck; es roch nach Kampfer und Schimmel, und die gesamten Möbel und Einrichtungsgegenstände wirkten dunkel und schmuddelig. Unten war ein Wohnzimmer mit einem Steinkamin; oben zwei kleine Schlafzimmer. Bad und Toilette waren nachträglich an die Küche gebaut worden, wie oft in solchen alten Häusern. 1768 waren sanitäre Einrichtungen noch ziemlich primitiv.
Banks glaubte nicht an Visionen und Prophezeiungen, aber er wäre ein Narr gewesen, wenn er geleugnet hätte, dass er, als er an jenem Tag die Küche betrat, ebendieses Wohlgefühl und diesen Frieden verspürte wie in seinem Traum. Natürlich sah es hier anders aus, aber er wusste, dass es sich um denselben Ort handelte, um die Küche aus seinem Traum.
Er hatte keine Ahnung, was das bedeutete. Er wusste nur, dass er das Cottage haben musste.
Er hatte nicht gedacht, dass er es sich würde leisten können; Eigentum in den Dales erzielte astronomische Preise. Aber Fortuna und menschliche
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