Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer

Titel: Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
Vom Netzwerk:
rittlings auf einem Dach und besserte mit hochgerollten Hemdsärmeln den Schornstein aus, ein großes Mädchen stand vor einem Zeitungsladen und rückte die Zeitungen im Ständer zurecht; ein Schlachterjunge radelte neben dem Fluss die High Street hinunter, sein Korb war voll mit Paketen aus braunem Einschlagpapier, seine blutbefleckte Schürze flatterte im Wind.
      Die Häuser an beiden Straßenseiten unterschieden sich in Größe und Aussehen. Es gab Doppelhaushälften und Reihenhäuser, deren Türen direkt auf den Bürgersteig führten, während ein paar größere, allein stehende Häuser hinter niedrigen Steinmauern standen und von gepflegten Gärten umgeben waren. Auf der High Street wurden die Häuserreihen hier und dort durch mehrere Geschäfte unterbrochen. Auch einen Pub konnte man sehen, das Shoulder of Mutton. Das Schild hing schief, als schwinge es im Wind.
      Alltagsleben. Aber das Ganze hatte etwas Unheilvolles. Teilweise waren es die Gesichter. Annie entdeckte in den Gesichtern vieler Menschen das selbstgefällige, herablassende Lächeln moralischer Rechtschaffenheit oder das bösartige Grinsen der Sadisten. Stanhope hatte so viele Kleinigkeiten hinzugefügt, dass diese Wirkung beabsichtigt zu sein schien. Wie er sie gehasst haben musste!
      Wenn man das Bild lange genug betrachtete, glaubte man beinahe, dass der Mann auf dem Dach jeden Moment einen Dachziegel auf einen Passanten fallen lassen würde oder dass der Schlachterjunge ein Hackebeil schwang, um jemandem den Kopf abzuschlagen.
      Die einzigen Wesen, die anziehend wirkten, waren die Kinder. Der Fluss war auf seinem Weg durchs Dorf weder sehr breit noch sehr tief. Die Kinder spielten im seichten Wasser, spritzten sich nass, paddelten herum, die Mädchen mit bis zu den Oberschenkeln hochgezogenen Röcken, die Jungen in kurzen Hosen. Manche sahen aus wie Engel; alle machten einen unschuldigen Eindruck.
      Je länger Annie das Bild betrachtete, desto überzeugter war sie, dass die Kinder etwas Religiöses, Ekstatisches an sich hatten, und in Verbindung mit dem Wasser erinnerte sie die Szene an das Motiv der Taufe. Es war eine Art von religiösem Symbolismus, der an Stanley Spencer erinnerte, aber nicht ganz so platt wirkte. Über allem lastete die Kirche mit ihrer bedrohlichen, bösen Ausstrahlung. Die Mühle war nur eine leere Hülse.
      Annie wandte den Blick ab. Als sie wieder zum Bild sah, kam ihr die Szene normaler vor, so dass ihr wieder vorrangig die sonderbare Farbgebung auffiel. Es war eine großartige Arbeit. Warum hatte sie noch nie etwas von Stanhope gehört?
      Unten rechts in der Ecke, genau über der Signatur des Malers, befand sich der Schuppen, in dem das Skelett gefunden worden war. Daneben stand ein kleines Cottage. Neben der Tür verkündete ein Holzschild seinen Namen: BRIDGE COTTAGE.
      »Was meinen Sie?«, fragte Mrs. Kettering.
      »Ist Ihnen aufgefallen, wie die alle aussehen? Als ob ...«
      »Als ob alle Heuchler oder Sadisten wären? Ja, ist mir. So wirkten sie halt auf Stanhope. Ich muss sagen, dass mir Hobb's End ganz anders vorkam. Natürlich gab es auch dort unangenehme Menschen, aber ich würde nicht behaupten, dass sie das Dorf prägten. Michael Stanhope war in gewisser Hinsicht ein stark gestörter Mann. Wollen wir wieder zurück in den Garten gehen?«
      Annie warf noch einen Blick auf das Gemälde, aber da ihr nichts auffiel, das sie bisher übersehen hatte, folgte sie Mrs. Kettering nach draußen.
      Das Sonnenlicht traf sie unvorbereitet. Annie legte die Hand über die Augen, bis sie sich wieder auf den Liegestuhl setzte. In ihrem Glas war noch ein kleiner Rest Limonade, sie trank es leer. Warm und süß. Aus irgendeinem Grund hatte sie das Bild ebenso aus dem Gleichgewicht gebracht wie eins der eher verstörenden Gemälde ihres Vaters; sie wollte mehr darüber erfahren, mehr über Michael Stan-hopes Sicht von Hobb's End.
      »Wie alt war Stanhope damals?«
      »Als ich ihn kannte, muss er so Ende vierzig gewesen sein.«
      »Was wurde aus ihm?«
      »Ich glaube, er blieb bis zum bitteren Ende im Dorf, und dann hörte ich irgendwann, er sei in ein kleines Atelier in London gezogen. Aber er tat nicht mehr viel danach. War nicht mehr sonderlich produktiv, sagt man da wohl. Ein- oder zweimal habe ich seinen Namen in der Zeitung gelesen, aber ich glaube, er war wie ein Fisch auf dem Trockenen, nachdem er Hobb's End verlassen hatte. Ich glaube, er schaffte es nicht, in der

Weitere Kostenlose Bücher