Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer
zum Arbeiten in eine Munitionsfabrik bei Sheffield. Während des Krieges wohnte ich bei meiner Schwester in Mexborough. Als Reg 1945 zurückkam, blieben wir noch eine Zeit lang da, bis er Arbeit auf einem Bauernhof kurz vor Harkside fand. Deshalb zogen wir her. Wir hatten schon immer viel fürs Land übrig. Warten Sie, meine Liebe, möchten Sie etwas Kaltes zu trinken, Zitronenlimonade vielleicht?«
»Ja, vielen Dank.«
»Leider gibt es hier nicht viel Schutz vor der Sonne«, sagte Mrs. Kettering, »aber wir können uns dort drüben hinsetzen.«
Sie wies auf die Seite des Gartens, die an der Straße lag. Ein schmaler Pfad führte zu einer Terrasse aus Steinfliesen, auf der zwei rotgrün gestreifte Liegestühle halb in der Sonne standen. Mehrere Kletterpflanzen wanden sich um Spaliere an der Mauer, die ein wenig Schatten spendete.
»Das ist doch schön«, sagte Annie, ging hinüber und nahm die Sonnenbrille ab.
Mrs. Kettering verschwand im Haus. Annie machte es sich in einem der Liegestühle bequem, streckte die Beine aus und ließ es sich gut gehen. Sie spürte die Wärme auf ihren nackten Beinen, heiß und sinnlich wie die Berührung eines Geliebten. Das Gefühl erinnerte sie an den Strand von St. Ives, wo sie aufgewachsen war und so manchen Sommertag mit ihrem Vater verbracht hatte, der Liegestühle an Urlauber vermietete. Die Erinnerung an jene Zeit rief ihr auch wieder Rob ins Gedächtnis: Wie sie an seinem freien Tag Spaziergänge über die Klippen machten, in seinem kleinen Boot um die Landzunge segelten und sich in abgelegenen Buchten liebten, während die Farben des Sonnenuntergangs den Horizont erstrahlen ließen und sich die Wellen am Strand brachen. Wie romantisch das alles gewesen war und wie lange her es ihr nun erschien.
Annie atmete den süßen Duft der Blumen ein. Bienen summten herum und sammelten Nektar. Sie schlug die Augen wieder auf und sah Möwen über Harksmere kreisen.
»Da wären wir, meine Liebe«, sagte Mrs. Kettering, als sie mit einem Tablett nach draußen kam. Zuerst reichte sie Annie ein großes Glas, dann nahm sie das andere, stellte das Tablett zur Seite und setzte sich. Die Liegestühle standen sich fast gegenüber, so dass man sich nicht den Hals verrenken musste, um miteinander zu reden.
»Hobb's End«, sagte Mrs. Kettering. »Das ist lange her. Ich muss ehrlich sagen, ich habe seit Jahren nicht mehr an das Dorf gedacht, obwohl ich es jetzt natürlich unten vom Garten aus sehen kann. Was möchten Sie denn wissen?«
»Alles, was Sie mir erzählen können«, sagte Annie. Dann berichtete sie Mrs. Kettering von dem Skelett.
»Ja, ich habe darüber etwas in den Nachrichten gehört. Hab mich schon gewundert, was das alles für Leute sind, die da kommen und gehen.« Mrs. Kettering dachte kurz nach. Annie beobachtete sie und nippte an ihrer Limonade. Ein Rotkehlchen ließ sich einen Moment lang auf dem Rasen nieder, legte den Kopf schräg, schiss aufs Gras und flog wieder davon.
»Eine junge Frau, ungefähr eins fünfundfünfzig, mit einem Baby?«, wiederholte Mrs. Kettering, die Stirn vor Konzentration gerunzelt. »Hm, da gab es das Mädchen von den McSorleys, aber das war, als wir dort hinzogen. Ich meine, als wir wegzogen, war sie weit über dreißig und hatte schon drei Kinder. Nein, meine Liebe, da fällt mir niemand ein, ehrlich nicht. Das Cottage am Ende, sagen Sie, das bei der Feenbrücke?«
»Die Feenbrücke?«
»So haben wir sie immer genannt. Weil sie so klein war, dass nur Feen hinübergehen konnten.«
»Verstehe. Stimmt. Das Skelett lag unter dem Schuppen.«
Mrs. Kettering verzog das Gesicht. »Reg und ich wohnten am hinteren Ende, genau unterhalb der Mühle. Trotzdem, ich muss bestimmt hundert Mal oder öfter daran vorbeigegangen sein. Tut mir Leid, meine Liebe, da herrscht bei mir völlige Leere. Ich kann mich auf jeden Fall an keine junge Frau erinnern, die dort wohnte.«
»Macht nichts«, sagte Annie. »Was können Sie mir über das Dorf selbst sagen?«
»Nun, obwohl es nicht weit entfernt von Harkside war, hatte es einen eigenen Charakter, das schon mal vorweg. Die Leute aus Harkside blickten auf die aus Hobb's End herab, weil es ein Mühlendorf war. Hielten sich für was Besseres.« Sie zuckte mit den Schultern. »Na ja, wahrscheinlich braucht jeder einen, auf den er herabsehen kann, oder?«
»Können Sie sich an Ärzte erinnern, die dort praktizierten?«
»O ja. Dr. Granville
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