Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer
Felder zu finden. Es war ein wunderschöner Herbstabend, getaucht in rauchgrünes und goldenes Licht. Vor dem Krieg war ich an solchen Abenden immer herausgegangen und hatte nach Sonnenuntergang das Abbrennen der Stoppelfelder genossen, an solchen Abenden konnte man den beißenden süßen Rauch über den Feldern riechen und die kleinen Feuer kilometerweit entlang des Horizonts sehen. Während des Krieges gab es leider keine abgebrannten Stoppelfelder; wir wollten ja nicht, dass die Deutschen wussten, wo sich unsere leeren Felder befanden.
Der besagte Abend war fast ebenso schön, auch ohne den Qualm und die kleinen Feuer. Ich konnte das rosafarbene Heidekraut auf den fernen Anhöhen im Westen dunkler werden sehen, konnte die Nachtvögel rufen hören, die saubere, nach Heu duftende Luft riechen und spüren, wie das trockene Gras beim Gehen an meinen nackten Beinen raschelte.
Trotz der verheerenden Auswirkungen des Krieges und der Entfernung zu Matthew fühlte ich mich in dem Moment so zufrieden wie vor dem ganzen Elend. Doch als wir in der zunehmenden Dunkelheit zur Feenbrücke hinunterliefen, empfand ich einen eisigen Schauer der Vorahnung, als sei jemand über mein Grab gelaufen, wie Mutter gesagt hätte. Gloria hatte sich bei mir untergehakt und plapperte ohne Unterlass, wie schön Laurence Olivier sei, und da sie offenbar nichts gemerkt hatte, ging ich darüber hinweg.
In den nächsten Wochen versuchte ich, das Gefühl zu verdrängen, doch kehrte es hartnäckig immer wieder zurück. Es gab reichlich Grund zum Jubeln, sagte ich mir: Matthew schrieb weiterhin regelmäßig und versicherte uns, es ginge ihm gut; die Rote Armee schien in Stalingrad an Boden zu gewinnen; und in Nordafrika wendete sich das Blatt.
Doch als ich im November nach dem Sieg in El Alamein im Bett lag und die Kirchenglocken zum ersten Mal seit Jahren wieder läuten hörte, konnte ich nicht anders als weinen, weil Matthew zu seiner Hochzeit keine Glocken gehabt hatte.
***
»Erstens«, sagte Annie später am Tag zu Banks am Telefon. »Nach der Eheschließung 1941 kann ich keinen einzigen offiziellen Eintrag zu Gloria Shackleton finden. Keine Vermisstenanzeige in unseren Akten, nirgends eine Todesanzeige. Der Harkside Chronicle stellte übrigens wegen Papierknappheit von 1942 bis 1946 sein Erscheinen ein, der nützt uns also gar nichts. Es gibt natürlich noch die Yorkshire Post, wenn die sich denn für die Gegend um Harkside interessierte. Nun, es sieht ganz so aus, als sei Gloria wie vom Erdboden verschluckt.«
»Hast du bei der Einwanderungsbehörde nachgefragt?«
»Ja. Nichts.«
»Gut. Weiter?«
»Hm, ich hab ein bisschen mehr über ihr Leben in Hobb's End herausfinden können, das meiste habe ich mir mit Hilfe des Gemeindeblatts zusammengereimt. Zum ersten Mal wird sie in der Ausgabe von Mai 1941 erwähnt, da begrüßt man sie in der Gemeinde als Mitglied der Women's Land Army. Ihr wird eine Stelle auf einem Hof namens Top Hill Farm zugewiesen, der ein wenig außerhalb des Dorfes liegt.«
»Top Hill Farm? Hast du herausgefunden, wer der Besitzer des Hofes war?«
»Allerdings. Er gehörte einem Mr. Frederick Kilnsey und seiner Frau Edith. Sie hatten einen Sohn namens Joseph, der einberufen wurde. Deswegen bekamen sie Gloria. Es war offenbar kein besonders großer Hof, nur ein paar Kühe, Federvieh, Schafe und ein Paar Hektar Land. Na ja, Joseph kam jedenfalls nicht zurück. Starb in El Alamein. Zu dem Zeitpunkt lebte Gloria schon im Bridge Cottage.«
»Und arbeitete noch für die Kilnseys?«
»Ja. Ich nehme an, diese Übereinkunft kam allen gelegen. Sie brauchten sie, besonders da Joseph tot war, und sie konnte im Bridge Cottage wohnen und war in der Nähe der wenigen Familienangehörigen, die sie in Hobb's End noch hatte.«
»Und das hast du alles aus dem Gemeindeblatt?«
»Na ja, ich schmücke es ein bisschen aus. Aber es ist bemerkenswert informativ, findest du nicht? Ich meine, man macht ja schnell Witze über die popeligen Nachrichten, die da veröffentlicht werden - zum Beispiel: >Bauer Jones verliert Schaf im Schneesturm< -, aber wenn man Einblick in so eine Sache erhalten möchte, dann ist es eine richtige Schatztruhe. Leider wurde der Druck ebenfalls Anfang 1942 eingestellt. Papiermangel.«
»Schade. Weiter?«
»Das ist eigentlich alles. Gloria heiratete den ältesten Sohn der Shackletons, Matthew. Er war einundzwanzig, sie neunzehn. Er hatte eine
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