Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer
ich das hinzufügen darf. Aber Alice war ja immer ein bisschen zu unbefangen und leichtsinnig.«
»Hatten Sie überhaupt Umgang mit Gloria?«
Mrs. Goodall schwieg kurz, als müsse sie sich einen unangenehmen Umstand in Erinnerung rufen. Dann nickte sie. »Ja, das hatte ich. Es oblag mir, ihr mitzuteilen, dass ihr Verhalten inakzeptabel war, genauso wie ihr Auftreten.«
»Ihr Auftreten?«
»Ja. Was für Kleidung sie trug, wie sie herumscharwenzelte, wie sie ihr Haar frisierte, als wäre sie eine von diesen billigen amerikanischen Filmschauspielerinnen. Das war nicht damenhaft. Ganz und gar nicht. Und als ob das nicht schon schlimm genug war, rauchte sie auch noch auf der Straße.«
»Sie sagten, es habe Ihnen oblegen? In welcher Funktion? War man allgemein schlecht auf sie zu sprechen?«
»In meiner Eigenschaft als Mitglied der Kirche von England.«
»Verstehe. Benahm sich sonst jeder in Hobb's End damenhaft?«
Sie spitzte wieder die Lippen und ließ ihn mit einem kurzen, stechenden Blick spüren, dass ihr die Anzüglichkeit in seinem Ton nicht entgangen war. »Ich will nicht sagen, dass es ansonsten keine niederen Elemente im Dorf gab, Chief Inspector. Verstehen Sie mich nicht falsch. Die gab es natürlich. So wie in jeder dörflichen Gemeinschaft. Aber selbst die durch ihre Geburt Benachteiligten können wenigstens nach einem gewissen Niveau und einem anständigen Benehmen streben. Meinen Sie nicht?«
»Wie reagierte Gloria auf Ihren Tadel?«
Mrs. Goodall lief noch in Erinnerung daran rot an. »Sie lachte. Ich wies sie darauf hin, dass es ihr moralisch und gesellschaftlich sehr zugute kommen könne, wenn sie ein aktives Mitglied der Frauengemeinschaft und der Missionarsgesellschaft würde.«
»Wie lautete ihre Antwort darauf?«
»Sie schimpfte mich eine wichtigtuerische Meckerziege und deutete an, dass es nur eine Missionarsstellung gebe, an der sie interessiert sei, und das sei nicht die der Kirche. Ist das nicht unglaublich? Und sie warf mit Ausdrücken um sich, die ich nicht einmal aus dem Mund des gewöhnlichsten Bauerntrampels erwartet hätte. Ich denke, dass sie damals ihr wahres Gesicht zeigte, auch wenn sie sonst so aufgesetzt redete.«
»Wie redete sie denn?«
»Ach, sie hatte so ein affektiertes Getue. Sie sprach wie jemand aus dem Rundfunkgerät. Nicht so wie heutzutage natürlich, sondern so wie damals, als man im Rundfunk noch ordentlich sprach. Aber man merkte, dass es aufgesetzt war. Sie hatte sich erkennbar in der Kunst der Täuschung und Verstellung geschult.«
»Sie heiratete Matthew Shackleton, stimmt's?«
Mrs. Goodall sog laut zischend die Luft ein. »Ja. Ich war auf der Hochzeit. Und ich muss sagen: Obwohl Matthew nur der Sohn eines Krämers war, heiratete er deutlich unter Stand,: als er diese Stringer vor den Traualtar führte. Matthew war ein außergewöhnlicher Mann. Ich hatte weit mehr von ihm erwartet.«
»Wissen Sie etwas über die Beziehung der beiden?«
»Nicht lange nach ihrer Hochzeit wurde er ins Ausland geschickt. Er wurde an der Front vermisst gemeldet, der arme Matthew. Vermisst, beziehungsweise verschollen.«
Banks runzelte die Stirn. »Wann war das?«
»Wann er vermisst gemeldet wurde?«
»Ja.«
»Irgendwann 1943. Er war im Fernen Osten. Wurde von den Japanern gefangen genommen.« Sie erschauderte.
»Was geschah mit ihm?«
»Keine Ahnung. Ich nehme an, er starb.«
»Sie hatten keinen Kontakt mehr?«
Sie drehte an ihrem Ehering. »Nein. Mein Mann, William, war an der Heimatfront an streng geheimen Aktionen beteiligt und wurde Anfang '44 nach Schottland geschickt. Ich begleitete ihn. Meine Eltern zogen mit uns fort, so hatten wir nichts mehr mit Hobb's End zu tun. Ich halte immer noch Verbindung zu Ruby Kettering und Alice Poole, aber das sind die Einzigen. Das ist alles so lange her. Wir Frauen schwelgen nicht in Kriegserinnerungen wie die Männer mit ihren Kampfverbänden und Regimentstreffen.«
»Wissen Sie, ob Gloria mit anderen Männern außer Matthew zu tun hatte?«
Mrs. Goodall rümpfte die Nase. »Mit ziemlicher Sicherheit.«
»Mit wem?«
Sie hielt kurz inne, als wolle sie ihn wissen lassen, dass sie nun eigentlich nicht weitersprechen durfte. Dann stieß sie nur ein Wort aus: »Soldaten.«
»Was für Soldaten?«
»Es herrschte Krieg, Chief Inspector. Auch wenn Sie es sich vielleicht anders vorstellen: Es war nicht
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