Inspector Alan Banks 11 Kalt wie das Grab
es nicht, mich Annie zu nennen.«
»Entschuldigung. Die Schuldgefühle. Das meine ich. Womit ich tagein, tagaus leben muss.«
Annie konnte nicht anders, sie musste lachen. »Oh, Wayne«, sagte sie, »das ist mal ein guter Witz. Ein sehr guter. Bitten Sie mich um Vergebung?«
»Ich weiß nicht, worum ich Sie bitte. Nur um eine ... eine Art Ende, einen Schlussstrich.«
»Verstehe. Sie wollen einen Abschluss. Beliebter Ausdruck, dieser Tage, besonders bei Opfern. Jeder will, dass die Bösen eingesperrt werden. Gibt ihnen das Gefühl eines Abschlusses. Sind Sie hier das Opfer, Wayne, ist es das?« Annie merkte, dass sie beim Sprechen wütend wurde, wie sich die Gleichgültigkeit in etwas anderes verwandelte, etwas Härteres. Zwei Wanderer näherten sich ihnen langsam vom Wald hinter den Flusswiesen.
»Das meine ich nicht«, sagte Dalton.
»Dann sagen Sie mir genau, was Sie meinen, Wayne, denn aus meiner Sicht sind Sie der Böse.«
»Hören Sie, ich weiß, dass es falsch war, was wir getan haben, und ich weiß, dass Trunkenheit und Teil der Gruppe zu sein keine Entschuldigung ist. Aber so bin ich nicht. Es war das erste, das einzige Mal, dass ich so etwas getan habe.«
»Sie wollen mir also weismachen, dass Sie kein Serienvergewaltiger sind und daher eigentlich ein guter Kerl, wenn man es recht bedenkt? Ist es das? Sie haben an dem Abend nur einen dummen kleinen Fehler gemacht, als Sie und Ihre Kumpel ein bisschen zu viel getrunken hatten und dieses junge Ding da war, das Sie regelrecht provoziert hat.« Annies Stimme hob sich, aber sie konnte nicht anders. Sie verlor die Kontrolle. Mühsam riss sie sich zusammen.
»Himmel, das habe ich doch nicht gesagt. Sie verdrehen meine Worte.«
»Oh, entschuldigen Sie«, sagte Annie und schüttelte den Kopf »Ich weiß nicht, was schlimmer ist, ein reuevoller Vergewaltiger oder ein reueloser.«
»Stellen Sie doch nicht alles auf den Kopf. Ich habe Sie nicht vergewaltigt.«
»Nein. Sie haben Ihre Chance nicht bekommen, oder? Aber Sie haben mich fest gehalten, haben geholfen, mir den Schlüpfer runterzureißen, und haben dagestanden und genüsslich zugeschaut, während Ihr Freund mich vergewaltigt hat. Ich habe Ihr Gesicht gesehen, Wayne. Erinnern Sie sich? Ich weiß, was Sie empfunden haben. Sie haben nur darauf gewartet, an die Reihe zu kommen, nicht wahr? Wie ein kleines Kind an der Schaukel. Und Sie hätten es getan, wenn Sie die Chance gehabt hätten. Für mich sind Sie nicht anders als die anderen. Sie sind genauso schlimm wie die anderen.«
Dalton seufzte und schaute zu Boden. Annie funkelte ihn wütend an, während die Wanderer vorbeigingen. Sie grüßten, aber weder Annie noch Dalton grüßten zurück.
»Und was wollen Sie nun von mir?«, fragte Dalton.
»Was ich will? Ich will Sie nicht mehr im Polizeidienst sehen. Am liebsten sähe ich Sie im Gefängnis. Aber das wird wohl nicht passieren, oder? Würde ich mich stattdessen mit einer Entschuldigung zufrieden geben? Ich glaube nicht.«
»Was kann ich denn sonst tun?«
»Sie könnten zugeben, was passiert ist. Sie könnten zum Chief Superintendent gehen und ihm sagen, dass Sie gelogen haben, dass ihr drei von Sinnen wart und mich vergewaltigt habt. Dass ich euch nicht verführt oder ermutigt oder auf den Gedanken gebracht habe, ihr drei könntet mich bis zur Bewusstlosigkeit bumsen. Das können Sie tun.«
Dalton schüttelte den Kopf. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. »Das kann ich nicht. Sie wissen, dass ich das nicht kann.«
Annie sah ihn an. Wieder spürte sie das Brennen in den Augen. »Dann verschwinden Sie! Verschwinden Sie sofort aus meinem Leben und kommen Sie nie wieder in meine Nähe.« Sie drehte sich um und überquerte die Drehbrücke in Richtung Reeth, während ihr die Tränen wie Feuer über die Wangen liefen. Sie drehte sich nicht noch einmal nach Dalton um, der ihr hinterher blickte und dabei ein Bild des Jammers bot.
* 12
Banks erfuhr in der Besprechung am frühen Montagnachmittag wenig mehr, als er bereits wusste. Die Haus-zu-Haus-Befragung und das Herumzeigen von Emilys Foto am Wochenende hatten ergeben, dass mehrere Personen meinten, Emily am Donnerstagnachmittag in verschiedenen Einkaufsstraßen von Eastvale gesehen zu haben, immer allein, aber eine Zeugin glaubte, sie hätte sie mit jemand zusammen gesehen. Leider erwies sich die Zeugin als so wenig brauchbar wie die meisten; sie hatte
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