Inspector Alan Banks 11 Kalt wie das Grab
zusammen gingen nicht mehr rein. Er war sich nicht sicher, wie kalt es sein würde. Vermutlich nicht viel anders als in Yorkshire, nahm er an. Höchstens ein paar Grad wärmer. Aber im November wusste man ja nie. Schließlich entschied er sich, doch beide mitzunehmen. Er faltete die Windjacke zusammen, legte sie auf die bereits eingepackten Hemden, drückte kräftig und zog den widerstrebenden Reißverschluss zu. Für ein Wochenende kam es ihm fast zu viel vor, aber es passte doch alles in die nicht allzu schwere Reisetasche. Die Lederjacke würde er auf der Fahrt anziehen.
Jetzt musste er nur noch ein Buch und ein paar Kassetten auswählen. Vermutlich würde er sie nicht brauchen, aber er fuhr nicht gern irgendwohin, ohne etwas zu lesen und Musik dabei zu haben, falls es zu Verzögerungen oder Notfällen kam.
Diese Lektion hatte er auf die unangenehme Tour gelernt, als er eines Samstags vier Stunden lang in der Notaufnahme eines großen Londoner Krankenhauses warten musste, bis man ihm die Wunde neben seinem rechten Auge mit sechs Stichen nähen konnte. Die ganze Zeit hatte er das Gazestück gegen die Schläfe gedrückt, um die Blutung zu stoppen, und den endlosen Strom von Drogenopfern, Selbstmordversuchen, Herzinfarkten und Verkehrsunfällen an sich vorbeiziehen sehen. Ihm war klar gewesen, dass ihre Verletzungen viel schlimmer waren und dringender behandelt werden mussten als sein kleiner Schnitt, aber er hätte sich bei Gott gewünscht, in diesem schmuddeligen Wartezimmer etwas anderes lesen zu können als den »Daily Mirror« vom Vortag. Sogar das Kreuzworträtsel war schon ausgefüllt. Mit Tinte.
Aber morgen würde er mit seiner Tochter Tracy über ein langes Wochenende nach Paris fahren - Galerien, Museen und Spaziergänge, üppige Mahlzeiten in kleinen Restaurants am linken Seineufer, hier und da ein Bier an den zinkbeschlagenen Theken in Montmartre mit Blick auf die Passanten. Tracy und er wollten den Eurostar nehmen, den Banks dank eines SoRderangebots in der Zeitung fast umsonst hatte buchen können. Schließlich war November, und die meisten zogen Lanzarote einem feuchten Wochenende in Paris vor. Er würde vermutlich kaum Musik oder Bücher brauchen, außer vor dem Schlafengehen, allein in seinem Zimmer, aber er beschloss, lieber vorzusorgen.
Banks trug die Reisetasche nach unten und kramte ein paar Ersatzbatterien aus der Schublade in der Anrichte. Zusammen mit dem Walkman steckte er sie in die Seitentasche, dazu die Kassetten, auf die er die CDs von Cassandra Wilson, Dawn Upshaw und Lucinda Williams überspielt hatte. Drei unterschiedlichere Frauenstimmen und Stilrichtungen ließen sich vermutlich nirgendwo sonst auf der Welt finden, aber er mochte sie alle und auch die große Stimmungsbandbreite, die sie abdeckten. Er ließ den Blick über das Bücherregal wandern und griff nach Simenons Maigret und die hundert Galgen. Normalerweise las Banks keine Kriminalromane, aber der Titel war ihm ins Auge gefallen, und jemand hatte ihm mal gesagt, er hätte eine Menge mit Maigret gemeinsam. Außerdem, so nahm er an, spielte das Ganze in Paris.
Als Banks mit dem Packen fertig war, goss er sich zwei Finger breit Laphroaig ein und entschied sich für die CD Waltz for Debbie von Bill Evans. Dann setzte er sich in den Sessel neben der Leselampe, stellte das Glas auf die Armlehne und legte die Füße hoch, während »My Foolish Heart« zögernd vorankam. Ein paar Torfstücke brannten im Kamin und passten sich mit ihrem Geruch dem rauchigen Geschmack des Islay Malt an.
Aber aus dem Kamin zog zu viel Rauch ins Zimmer. Banks überlegte, ob er einen Schornsteinfeger brauchte, weil vermutlich seit langer Zeit kein Feuer mehr entzündet worden war. Er hatte keine Ahnung, wie er einen Schornsteinfeger finden sollte, wusste nicht mal, ob es so ein exotisches Wesen überhaupt noch gab. Ihm fiel ein, wie fasziniert er als Kind gewesen war, wenn der Schornsteinfeger kam und seine Mutter alles im Zimmer mit alten Laken abdeckte. Banks durfte zusehen, wie der seltsame, mit Ruß bedeckte Mann die Verlängerung an seiner langen, dicken Bürste anbrachte und sie in den hohen Schornstein schob, musste aber aus dem Zimmer gehen, bevor die eigentliche Arbeit begann. Später, als er las, dass während der viktorianischen Zeit kleine Jungs nackt in die Schornsteine geschickt wurden, hatte er sich gefragt, ob ihr Schornsteinfeger so was wohl auch gemacht hatte. Doch dann wurde ihm klar, dass der Mann nicht
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