Inspector Alan Banks 12 Wenn die Dunkelheit fällt
er ein großes Risiko eingeht, wenn er Kimberley entführt, nicht wahr? War er von ihr besessen, Lucy? War es das? Waren die anderen nur Vorbereitung, Ersatz, bis er es nicht mehr aushielt und sich das Mädchen geholt hat, das er immer schon wollte? Wie fanden Sie das, Lucy? Dass Terry lieber Kimberley wollte als Sie, lieber als das Leben, lieber als die Freiheit?«
Lucy hielt sich die Ohren zu. »Hören Sie auf! Das ist gelogen, erstunken und erlogen! Ich weiß nicht, was Sie meinen. Ich verstehe nicht, was hier los ist. Warum machen Sie mich so fertig?« Sie wandte sich an Julia Ford. »Holen Sie mich hier raus. Bitte! Ich muss doch nicht hier bleiben und mir das noch länger anhören, oder?«
»Nein«, entgegnete Julia Ford und erhob sich. »Sie können gehen, wann immer Sie wollen.«
»Das glaube ich nicht.« Banks stand auf und holte tief Luft. »Lucy Payne, ich verhafte Sie wegen Beihilfe zum Mord an Kimberley Myers.«
»Das ist lächerlich!«, zischte Julia Ford. »Das ist eine Farce.«
»Ich nehme Ihrer Mandantin die Geschichte nicht ab«, sagte Banks. Er wandte sich wieder an Lucy. »Sie haben das Recht zu schweigen, Lucy, aber wenn Sie jetzt etwas verschweigen, auf dass Sie sich später vor Gericht berufen, so kann das gegen Sie verwendet werden. Haben Sie das verstanden?«
Banks machte die Tür auf und beauftragte zwei uniformierte Beamte, Lucy hinunter zum Wachhabenden zu bringen! Als die beiden auf sie zutraten, wurde sie blass.
»Bitte!«, sagte sie. »Ich komme zurück, wann Sie wollen. Bitte, ich flehe Sie an, schließen Sie mich nicht ganz allein in eine dunkle Zelle!«
Zum ersten Mal, seit er mit ihr zu tun hatte, bekam Banks das Gefühl, dass Lucy Payne aufrichtig Angst hatte. Er rief sich in Erinnerung, was Jenny ihm von den sieben Alder-thorpe-Kindern erzählt hatte. Ohne Essen tagelang in Käfige gesperrt. Beinahe hätte er nachgegeben, aber es gab kein Zurück mehr. Er zwang sich, an Kimberley Myers zu denken, die gefesselt auf dem Bett in Lucy Paynes dunklem Keller gelegen hatte. Ihr hatte niemand eine Chance gegeben. »Die Zellen sind nicht dunkel, Lucy«, sagte er. »Sie sind gut beleuchtet und sehr behaglich. Sie bekommen regelmäßig vier Sterne im Polizeiführer.«
Julia Ford warf ihm einen angewiderten Blick zu. Lucy schüttelte den Kopf. Banks nickte den Wachen zu. »Bringt sie runter!«
Er hatte es gerade noch so hingebogen, aber er fühlte sich nicht annähernd so gut, wie er erwartet hatte. Immerhin hatte er Lucy Payne nun vierundzwanzig Stunden lang da, wo er sie haben wollte. Vierundzwanzig Stunden, um einen unumstößlichen Beweis für ihre Schuld zu finden.
Annie empfand nichts als Gleichgültigkeit für die Leiche von Terence Payne, die nackt auf dem Obduktionstisch aus Edelstahl lag. Es war nur eine Hülle, die trügerische menschliche Erscheinungsform einer Missgeburt, einer Laune der Natur, eines Dämons. Doch wenn sie es recht bedachte, war sie noch nicht einmal davon überzeugt. Die Bösartigkeit von Terence Payne war nur allzu menschlich. Männer haben Frauen durch alle Jahrhunderte hindurch vergewaltigt und verstümmelt, ob nun zu Kriegszeiten als eine Form von Schändung, ob in den engen Gassen und billigen Zimmern verkommener Städte zu ihrem düsteren Vergnügen, ob in der Einsamkeit auf dem Land oder in den Salons der Reichen. Es brauchte wohl keinen Dämon in Menschengestalt, wenn es die Männer selbst so hervorragend hinbekamen.
Annie konzentrierte sich auf das, was vor ihr stattfand: Terence Paynes Schädel wurde äußerlich von Dr. Mackenzie untersucht. Identifizierung und Todeszeitpunkt hatten in diesem Fall kein Problem dargestellt. Payne war um 20:13 Uhr am vergangenen Abend von Dr. Mogabe im Allgemeinen Krankenhaus von Leeds für tot erklärt worden. Selbstverständlich erledigte Dr. Mackenzie seine Aufgabe gründlich - sein Assistent hatte die Leiche bereits gewogen und vermessen, Fotos und Röntgenaufnahmen waren längst gemacht. Annie hätte gewettet, dass Mackenzie zu der Sorte Mediziner gehörte, die selbst dann eine gründliche Obduktion vornahmen, wenn ein Mann direkt vor ihren Augen erschossen worden war. Es genügte halt nicht, Vermutungen anzustellen.
Die Leiche war sauber und auf die Sektion vorbereitet. Nie ist ein Mensch so steril, als wenn er gerade aus dem OP kommt. Zum Glück hatte man sofort nach dem Polizeiarzt geschickt, als Payne ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Der
Weitere Kostenlose Bücher