Inspector Alan Banks 12 Wenn die Dunkelheit fällt
Gedanken machen. Sie hatte eine alte Freundin aus Studententagen am Psychologischen Seminar der Universität Edinburgh, und es könnte nett sein, sich zu treffen und sich gegenseitig auf den neuesten Stand zu bringen. Nicht dass ihre jüngsten Erfahrungen ihr sonderlich zum Vorteil gereichten, dachte Jenny trübsinnig. Und da sie jetzt Banks' Freundin kennen gelernt hatte, nahm sie an, dass sie sich bei ihm keine großen Hoffnungen zu machen brauchte. Immerhin hatte sie sich inzwischen daran gewöhnt; schließlich kannten sie sich schon seit mehr als sieben Jahren, und nicht einmal hatten sie die Grenzen des Anstands überschritten - eigentlich jammerschade.
Jenny wusste immer noch nicht genau, ob die »kleine Freundin« eifersüchtig gewesen war, als sie sich im Queen's Arms zu ihnen gesellt hatte. Sie musste gesehen haben, dass Banks Jennys Arm berührt hatte, und auch wenn es lediglich eine freundschaftliche, besorgte Geste gewesen war, so konnte man sie doch missverstehen, wie so oft bei Körpersprache. War die Freundin von der eifersüchtigen Sorte? Jenny wusste es nicht. Annie hatte einen selbstsicheren, ausgeglichenen Eindruck gemacht, und doch hatte Jenny etwas an ihrem Verhalten wahrgenommen, das nichts Gutes für Banks verhieß. Er war wohl der einzige Mann, um den sich Jenny Sorgen machte, den sie beschützen wollte. Sie wusste nicht, warum. Er war unabhängig, stark, reserviert; vielleicht war er verletzlicher, als er durchblicken ließ, aber er gehörte mit Sicherheit nicht zu den Menschen, bei denen man das Gefühl hatte, man müsste sie behüten oder bemuttern.
Ein weißer Lieferwagen überholte sie links auf der Außenspur, als sie gerade abbiegen wollte. In Gedanken verloren, hätte sie ihn beinahe gerammt. Zum Glück riss sie das Lenkrad instinktiv herum, so dass sie wieder in die Spur kam, ohne jemanden zum Ausweichen zu nötigen, aber sie verpasste die Ausfahrt, die sie hatte nehmen wollen. Sie drückte auf die Hupe, verfluchte den Fahrer lauthals - ohnmächtige Gesten, aber was Besseres fiel ihr nicht ein - und nahm die nächste Ausfahrt.
Nachdem sie die A1 verlassen hatte, stellte sie den Radiosender um. Statt einer tristen Brahms-Symphonie erklang jetzt heitere Popmusik, Lieder, die sie mitsummen und zu denen sie rhythmisch aufs Lenkrad klopfen konnte.
Durham war eine komische Stadt, hatte Jenny immer schon gedacht. Sie war zwar dort geboren, aber ihre Eltern waren weggezogen, als sie erst drei Jahre alt war, daher konnte sie sich an nichts erinnern. Am Anfang ihrer akademischen Laufbahn hatte sie sich für eine Stelle an der Universität Durham beworben, war aber von einem Mann ausgestochen worden, der mehr Publikationen vorweisen konnte. Sie hätte hier gerne gewohnt, dachte sie, als sie das ferne Schloss oben auf dem Hügel und das ganze Grün drumherum sah. Aber York gefiel ihr auch sehr gut, und sie verspürte nicht den Wunsch, sich an diesem Punkt ihres Berufslebens um eine neue Stelle zu bewerben.
Dem Stadtplan hatte Jenny entnommen, dass Keith Murray draußen am Sportgelände der Uni wohnte. Deshalb konnte sie das Labyrinth um Kathedrale und Colleges meiden, wo die meisten Touristen unterwegs waren. Dennoch gelang es ihr, sich mehrmals zu verfahren. Es war möglich, dass Keith Vorlesungen hatte, auch wenn Jenny sich noch erinnern konnte, wie wenig Veranstaltungen sie im Grundstudium besucht hatte. Wenn er unterwegs war, konnte sie auf ihn warten, konnte die Stadt erkunden, im Pub essen und hätte immer noch genug Zeit, um nach Edinburgh zu fahren und mit Laura zu sprechen.
Sie hielt auf einem kleinen Parkplatz vor einer Geschäftszeile und konsultierte abermals den Stadtplan. Nicht mehr weit. Sie musste nur auf die Einbahnstraßen aufpassen, sonst würde sie am Ende da rauskommen, wo sie losgefahren war.
Beim zweiten Versuch machte sie es richtig und bog von der Umgehungsstraße in ein Viertel mit schmalen Straßen. Jenny konzentrierte sich so stark darauf, die richtige Straße und die richtige Hausnummer zu finden, dass sie erst im letzten Moment das Auto wahrnahm, hinter dem sie parkte. Als sie es erkannte, klopfte ihr das Herz bis zum Hals. Es war ein blauer Citroën.
Bleib ruhig, sagte sie sich, du kannst nicht davon ausgehen, dass es derselbe blaue Citroën ist, der dir auf Holderness gefolgt ist, du hast das Kennzeichen ja nicht gesehen. Aber es war das gleiche Modell, und sie glaubte nicht an Zufälle.
Was sollte sie tun? Trotzdem
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