Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
sicher, dass ich so korrupt bin, wie Sie glauben. Also, wenn Sie keine Strafanzeige stellen und mich nicht zusammenschlagen, warum verpissen Sie sich nicht einfach und lassen mich in Ruhe?«
Banks und Michelle tauschten Blicke aus. Sie hatten nichts mehr zu sagen. Die beiden standen auf. Im Auto fragte Banks Michelle: »Glaubst du ihm?«
»Dass er nicht hinter dem Einbruch und der Sache mit dem Lieferwagen steckt?«
»Ja.«
»Denke schon. Bei dem Vorwurf hat er sich echt erschrocken. Aus welchem Grund sollte er jetzt lügen?«
»Das ist ein ernstes Verbrechen. Grund genug. Aber ich glaube, du hast Recht. Ich glaube nicht, dass er dahinter steckt. Er hat nur sein Bestes getan, um Harris' Ruf zu schützen.«
»Denkst du dasselbe wie ich?«
Banks nickte. »Rupert Mandeville.«
»Sollen wir ihm einen Besuch abstatten?«
»Ja. Soll ich dich begleiten?«
Michelle schaute Banks an. »Ja. Ich habe das Gefühl, wir nähern uns dem Ende. Graham Marshall war dein Freund. Du hast das Recht, dabei zu sein. Ich würde nur gerne kurz auf der Dienststelle halten und vorher ein paar Dinge klären.«
»Mandeville wird nicht besonders auskunftsfreudig sein.«
Michelle lächelte. »Das werden wir ja sehen. Wird jedenfalls nicht schaden, ihm Daumenschrauben anzulegen.«
* 19
Annie brauchte nicht lange, um nach Harrogate zu fahren und dort das kleine Reihenhaus in einer Nebenstraße der Leeds Road zu finden. Vernon Anderson öffnete ihr mit verwirrtem Gesichtsausdruck und führte sie in sein spartanisch eingerichtetes Wohnzimmer. Annie bestaunte den gerahmten Vermeer-Druck über dem Kamin und nahm in einem der beiden Sessel Platz.
»Ich sehe, Sie haben ein Auge für Kunst«, bemerkte Annie.
»Muss bei uns in der Familie liegen«, sagte Vernon. »Obwohl ich gestehen muss, dass ich nicht so viel lese wie meine Schwester. Ich würde mir eher jeden Tag einen neuen Film ansehen.«
Auf dem Couchtisch unter dem Fenster lagen zwei Lotterielose auf einer Zeitung. Sie war auf der Seite mit den Pferderennen aufgeschlagen, einige Pferdenamen waren rot eingekreist.
»Heute schon Glück gehabt?«, fragte Annie.
»Sie wissen ja, wie das ist«, erwiderte Vernon mit schelmischem Grinsen. »Hier gewinnt man ein bisschen, da verliert man ein bisschen.« Er setzte sich aufs Sofa und schlug die Beine übereinander.
Vernon Anderson hatte nicht viel Ähnlichkeit mit seiner Schwester. Er hatte kurze dunkle Locken, an den Schläfen wich der Haaransatz schon zurück. Er war untersetzt, hatte einen muskulösen Oberkörper, aber ziemlich kurze Beine. Die langen Wimpern, seine Grübchen und sein Charme waren beim anderen Geschlecht bestimmt beliebt. Auch wenn dies alles Annie selbst nicht ansprach. Nur die Augen hatten eine gewisse Ähnlichkeit mit Lauren; sie waren vom gleichen Blassblau. Vernon trug eine Jeans und ein Guinness-T-Shirt. Und weiße Sandalen mit weißen Socken.
»Worum geht's?«
»Ich untersuche die Entführung und den Mord an Luke Armitage«, erklärte Annie. »Ihre Schwester war seine Lehrerin.«
»Ja, ich weiß. Es macht sie fertig.«
»Haben Sie Luke mal kennen gelernt?«
»Ich? Nein. Ich hab natürlich von ihm gehört, jedenfalls von seinem Vater.«
»Martin Armitage?«
»Genau. Hab im Laufe der Jahre ein paar Mal auf die Mannschaften gesetzt, für die er gespielt hat.« Vernon grinste.
»Aber Luke haben Sie nie kennen gelernt?«
»Nein.«
»Hat Ihre Schwester Ihnen viel über ihn erzählt?«
»Sie hat manchmal von der Schule erzählt«, sagte Vernon. »Da kann sie ihn erwähnt haben.«
»In welchem Zusammenhang?«
»Als Schüler.«
»Aber nicht, dass er eine Ausnahmebegabung war, dass sie ihm Privatunterricht gab?«
»Nein.« Vernon kniff die Augen zusammen. »Worauf läuft das hier hinaus?«
»Lauren hat ausgesagt, sie wäre an dem Tag, als Luke verschwand, bei Ihnen gewesen. Das war vorletzten Montag. Stimmt das?«
»Ja. Hören Sie, das bin ich alles schon mit Ihrem Kollegen durchgegangen, der vor ein paar Tagen hier war.«
»Ich weiß«, sagte Annie. »Er war von der hiesigen Polizei und hat ausgeholfen. Wir können leider nicht immer rauskommen. Tut mir Leid, dass ich Sie damit belästige, aber würde es Ihnen etwas ausmachen, das noch mal mit mir durchzugehen?«
Vernon verschränkte die Arme. »Meinetwegen. Wenn es unbedingt nötig
Weitere Kostenlose Bücher