Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
konnte.
»Jedenfalls siehst du gut aus«, sagte sie. »Nicht so gestresst. Schon der halbe Urlaub scheint Wirkung gezeigt zu haben.«
Banks dachte kurz nach. Er fühlte sich tatsächlich viel besser als bei seiner Abreise. »Es hat geholfen, Abstand zu gewinnen«, sagte er. »Und bei dir?«
»Alles im Lot. Super. Die Arbeit läuft gut. Ich hab wieder mit Yoga und Meditation angefangen. Und ich habe ein bisschen gemalt.«
»Hab ich dich vorher von alldem abgehalten?«
Annie lachte. »Naja, du hast mir nicht unbedingt Daumenschrauben angelegt, aber wenn man so wenig Zeit hat wie wir in unserem Beruf, dann bleibt zwangsläufig irgendwas auf der Strecke.«
Banks lag die ironische Bemerkung auf der Zunge, »irgendwas« sei in dem Fall er gewesen, doch hielt er sich zurück. Vor zwei Wochen wäre ihm das nicht gelungen. Der Urlaub musste ihm tatsächlich gut getan haben. »Tja«, sagte er, »freut mich, dass es dir gut geht. Ehrlich, Annie.«
Sie strich ihm über die Hand. »Ich weiß. Und? Was hat dich so schnell zurückgeführt? Hoffentlich nichts Ernstes.«
»In gewisser Weise schon.« Banks zündete sich eine Zigarette an und berichtete Annie vom Fund der Gebeine Graham Marshalls.
Annie hörte stirnrunzelnd zu. Als Banks schwieg, sagte sie: »Ich kann ja verstehen, dass es dir nahe geht, aber was willst du da machen?«
»Keine Ahnung«, entgegnete Banks. »Vielleicht gar nichts. Wenn das mein Fall wäre, hätte ich entschieden was dagegen, dass jemand Fremdes seine Nase reinsteckt, aber als ich davon gehört hab, fand ich irgendwie ... weiß nicht. Als Graham einfach so verschwand, war das für meine Jugend ein einschneidendes Erlebnis. Und ist es auch heute noch. Ich kann's nicht richtig erklären, aber es ist so. Ich hab dir doch von dem Mann am Fluss erzählt, der versucht hat, mich reinzuschubsen, oder?«
»Ja.«
»Wenn er auch Graham auf dem Gewissen hat, kann ich vielleicht dabei helfen, ihn zu finden, falls er noch lebt. Ich weiß noch, wie er ausgesehen hat. Ist ja gut möglich, dass es ein Foto von ihm im Archiv gibt.«
»Und wenn er es nicht war? Geht's darum? Hast du das gemeint, als du mal von deiner Schuld gesprochen hast?«
»Zum Teil«, sagte Banks. »Ich hätte mich damals melden sollen. Aber es geht um mehr. Auch wenn der Mann am Fluss nichts damit zu tun hatte - irgendjemand hat Graham umgebracht und seine Leiche verscharrt. Vielleicht fällt mir noch irgendwas ein, vielleicht hab ich damals etwas übersehen, war ja selbst nur ein Kind. Wenn ich es schaffe, mich in die Zeit zurückzuversetzen, dann ... Noch eins?«
Annie schaute auf ihr Glas. Halb voll. Sie musste noch fahren. »Nein«, sagte sie, »für mich nicht.«
»Keine Sorge«, sagte Banks. Er stand auf. Als er ihren besorgten Blick bemerkte, sagte er: »Das ist mein letztes heute.«
»Und? Wann willst du runterfahren?«, fragte Annie, als Banks von der Theke zurückkam.
»Direkt morgen früh.«
»Und was hast du vor? Willst du in Peterborough in die Dienststelle marschieren und deine Hilfe anbieten?«
»So ungefähr. Hab ich mir noch nicht genau überlegt. Der Fall wird bei denen kaum oberste Priorität haben. Aber die Kollegen können sich doch freuen, wenn sie einen haben, der alles miterlebt hat. Damals haben sie mich auch befragt. Kann ich mich noch genau dran erinnern.«
»Nun ja, du hast ja selbst schon gesagt, dass sie dich nicht gerade mit offenen Armen empfangen werden, wenn du als Kollege aufkreuzt und ihnen sagst, wie sie ihre Arbeit zu tun haben.«
»Ich werde mich in Demut üben.«
Annie lachte. »Pass besser auf!«, sagte sie. »Am Ende bist du selbst noch ein Verdächtiger.«
»Würde mich nicht überraschen.«
»Ist jedenfalls schade, dass du nicht in der Nähe bleibst. Wir könnten deine Hilfe ganz gut gebrauchen.«
»Ach. Was gibt's denn?«
»Ein vermisstes Kind.«
»Noch eins?«
»Die Sache ist etwas aktueller als bei deinem Freund Graham.«
»Junge oder Mädchen?«
»Ist das wichtig?«
»Das weißt du doch, Annie. Es werden viel öfter Mädchen entführt, vergewaltigt und umgebracht als Jungen.«
»Ein Junge.«
»Wie alt?«
»Fünfzehn.«
Das war ungefähr Grahams Alter damals, dachte Banks. »Dann stehen die Chancen gut, dass er wohlbehalten wieder auftaucht«, sagte er, obwohl es in Grahams Fall anders gewesen war.
»Das hab ich den Eltern
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