Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
jüngeren Bruder Ron in einem Zimmer geschlafen und sich, wie alle Geschwister, unablässig gezankt.
Das Haus stand am Westrand der Siedlung, unweit der Durchgangsstraße. Gegenüber befanden sich ein leeres Fabrikgebäude und mehrere Geschäfte, darunter auch ein Zeitungshändler. Banks blieb stehen und ließ die verwitterten Reihenhäuser auf sich wirken: immer fünf nebeneinander, jedes mit kleinem Gärtchen, Holztor, niedriger Mauer und Ligusterhecke. Einige Nachbarn hatten angebaut, ein Haus hatte sogar einen Vorbau. Bestimmt hatte es der Besitzer in den Achtzigern erworben, als die konservative Regierung Sozialbauten für kleines Geld verscherbelte. Vielleicht gab es hinten sogar einen Wintergarten, obwohl es leichtsinnig war, sich in dieser Gegend einen fast nur aus Glas bestehenden Anbau zu leisten.
Mehrere Jugendliche standen auf der Straße, rauchten, schubsten sich, Asiaten, Weiße. Aus den Augenwinkeln beobachteten sie Banks. Fremde waren immer verdächtig, die Kinder wussten ja nicht, wer er war, dass auch er hier aufgewachsen war. Ein paar von ihnen trugen Baggy-Jeans und Kapuzenjacken. Räudige Hunde liefen über die Straße, aus einem offenen Fenster schallte Rockmusik.
Banks schob das Tor auf. Er sah, dass seine Mutter bunte Blumen gepflanzt hatte und der kleine Rasen adrett gemäht war. Es war der einzige Garten, den seine Mutter je besessen hatte, und sie war immer sehr stolz auf ihr kleines Fleckchen Grün gewesen. Banks ging über die Steinplatten zur Haustür und klopfte. Durch die Milchglasscheibe sah er seine Mutter kommen. Sie öffnete die Tür, rieb sich die Hände, als trockne sie sie, und nahm ihn in die Arme. »Alan«, sagte sie. »Schön, dass du da bist. Komm herein.«
Banks ließ die Reisetasche im Flur stehen und folgte seiner Mutter ins Wohnzimmer. Die Tapete hatte ein unruhiges Herbstlaub-Muster, die dreiteilige Couchgarnitur war aus farblich passendem braunem Velours, und über dem elektrischen Kamin hing eine sentimentale Herbstlandschaft. Banks konnte sich nicht erinnern, das Bild bei seinem letzten Besuch vor ungefähr einem Jahr gesehen zu haben, aber er hätte auch nicht mit Sicherheit sagen können, dass es damals noch nicht da gewesen war. So viel zum Thema aufmerksamer Polizist und Sohn.
Banks' Vater saß in dem Sessel, von dem man den besten Blick auf den Fernseher hatte. Er stand nicht auf, sondern brummte bloß: »Hallo, Junge. Wie geht's?«
»Ganz gut, Dad. Und dir?«
»Muss ja.« Seit er vor Jahren seine Arbeit in der Metallblechfabrik verloren hatte, litt Arthur Banks an einer leichten Angina pectoris und einer bunten Mischung unspezifischer chronischer Beschwerden, die weder besser noch schlimmer zu werden schienen. Hin und wieder nahm er Tabletten gegen die Schmerzen in der Brust. Aber abgesehen von den Brustschmerzen und dem Schaden, den Alkohol und Zigaretten im Laufe der Jahre in seiner Leber und Lunge angerichtet hatten, war er quietschfidel. Er war klein, mager und schmalbrüstig und hatte noch immer dichtes dunkles Haar, fast ohne graue Strähnen. Es war mit Unmengen Brisk zurückgekämmt.
Banks' Mutter war pummelig und hektisch, sie hatte Hamsterbäckchen und blaugraues Haar, das ihren Kopf wie eine Wolke umgab. Sie schimpfte, Banks sei zu dünn. »Du hast doch bestimmt nichts Ordentliches mehr gegessen, seit Sandra ausgezogen ist, was?«, sagte sie.
»Du weißt ja, wie das ist«, erwiderte Banks. »Wenn ich ein bisschen Luft hab, schaff ich's mal gerade, mir einen Bic Mac mit Pommes zu genehmigen.«
»Du solltest mehr auf dich achten. Der Körper braucht ordentliche Nahrung. Bleibst du zum Abendessen?«
»Glaub schon«, sagte Banks. Er hatte noch nicht entschieden, was er als Nächstes tun wollte. Irgendwie hatte er geglaubt, die Polizei von Peterborough - in Gestalt der reizenden Michelle Hart - wäre so dankbar für sein Hilfsangebot, dass man ihm sofort ein Büro in Thorpe Wood zur Verfügung stellen würde. Na gut, dachte er, ist ja schließlich ihr Fall. »Ich bring nur kurz die Tasche nach oben«, sagte er und ging zur Treppe.
Obwohl Banks seit seinem Umzug nach London nicht mehr bei seinen Eltern übernachtet hatte, wusste er irgendwie, dass sein Zimmer sich nicht verändert haben würde. Er hatte Recht. Fast. Es war derselbe Schrank, dasselbe kleine Bücherregal, dasselbe schmale Bett, in dem er als Jugendlicher geschlafen und heimlich mit einem Transistorradio unter der Bettdecke Radio
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