Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
bin mir so gut wie sicher.«
Shaw nickte, und Michelle nahm das Bild zurück.
»Wieso?«, fragte Banks und sah von einem zum anderen. »Wer ist das?«
»James Francis McCallum«, sagte Michelle. »Er brach am 17. Juni 1965 aus einer Nervenheilanstalt in der Nähe von Wisbech aus.«
»Das würde ja ungefähr hinkommen«, sagte Banks.
»McCallum war noch nicht als gewalttätig in Erscheinung getreten, aber der Arzt meinte, McCallum könne durchaus gefährlich werden.«
»Wann wurde er gefasst?«, wollte Banks wissen.
Michelle warf Shaw einen Seitenblick zu. Er nickte kurz. »Das ist es ja«, sagte sie. »Er wurde nicht gefasst. McCallums Leiche wurde am 1. Juli aus der Nene in der Nähe von Oundle geborgen.«
Banks war sprachlos. »Tot?«, brachte er schließlich heraus.
»Tot«, wiederholte Shaw. Er pochte mit dem Stift auf den Tisch. »Fast zwei Monate bevor Ihr Freund verschwand. Sie sehen also, Banks, Sie haben sich die ganze Zeit unnötig gequält. Aber was mich eigentlich interessiert, ist, warum Sie mich und DI Praetor damals angelogen haben.«
Banks war wie betäubt. Tot. Schon so lange. All die Schuldgefühle, umsonst. Der Mann am Fluss konnte Graham gar nicht entführt und getötet haben. Banks hätte erleichtert sein müssen, stattdessen war er verwirrt. »Ich habe nicht gelogen«, murmelte er.
»Dann war es halt eine Unterlassungssünde. Sie haben uns nichts von McCallum erzählt.«
»Hätte ja offensichtlich eh nichts geändert, hm?«
»Warum haben Sie es uns nicht erzählt?«
»Hören Sie, ich war noch ein Kind. Meinen Eltern hab ich es nicht gesagt, weil ich Angst vor ihrer Reaktion hatte. Ich hatte einen Schock und ein schlechtes Gewissen. Fragen Sie mich nicht, warum, ich weiß es nicht. So hab ich mich jedenfalls gefühlt. Besudelt und beschämt, als wäre ich schuld und hätte die Gefahr herausgefordert.«
»Sie hätten es uns sagen sollen. Vielleicht hätte es uns geholfen.«
Banks wusste, dass Shaw Recht hatte; wie oft schon hatte er widerspenstigen Zeugen ins Gewissen geredet. »Nun, ich hab's nicht getan, und es hätte Ihnen nicht geholfen«, erwiderte er knapp. »Tut mir Leid. Okay?«
Aber so leicht gab sich Shaw nicht zufrieden. Es machte ihm Spaß, seine Position auszuspielen. Sadist. Für Shaw war Banks immer noch ein vierzehnjähriger Junge, der gerade seinen Wellensittich verloren hatte. »Was ist denn nun wirklich mit Ihrem Freund passiert?«, fragte er.
»Wie meinen Sie das?«
Shaw kratzte sich am Kinn. »Ich weiß noch genau, dass ich damals dachte, der Junge weiß was, der verheimlicht uns was. Ich hätte Sie gerne mit aufs Revier genommen, mal eine Stunde unten in der Zelle schmoren lassen, aber Sie waren ja minderjährig, und mein Vorgesetzter, Reg Proctor, war ein Weichei, wenn's hart auf hart kam. Was ist wirklich passiert?«
»Keine Ahnung. Graham war einfach verschwunden.«
»Vielleicht hatten Sie und Ihre Kumpel es auf ihn abgesehen? Vielleicht war es ein Unfall, und die Sache geriet außer Kontrolle?«
»Was soll dieser Blödsinn?«
»Ich frage nur, ob ihr drei euch vielleicht aus irgendeinem Grund gegen Graham Marshall verschworen hattet und ihn umgebracht habt. So was kommt vor. Dann musstet ihr seine Leiche loswerden.«
Banks verschränkte die Arme. »Dann sagen Sie mir mal, wie wir das gemacht haben sollen.«
»Keine Ahnung«, gab Shaw zu. »Muss ich ja auch nicht wissen. Vielleicht habt ihr ein Auto geknackt.«
»Wir konnten alle nicht fahren.«
»Behaupten Sie.«
»Das war damals anders als heute, wo schon Zehnjährige hinterm Steuer sitzen.«
»Ist es so gewesen? Ihr habt euch gestritten, und plötzlich war Graham tot? Vielleicht ist er hingefallen und hat sich den Kopf aufgeschlagen oder das Genick gebrochen? Ich will ja nicht sagen, dass Sie vorhatten, ihn umzubringen, es passierte einfach so, oder? Warum machen Sie nicht reinen Tisch, Banks ? Reden Sie sich alles von der Seele, danach geht es Ihnen besser.«
»Ähm, Sir?«
»Jetzt nicht, Inspector Hart. Nun, Banks? Ich warte.«
Banks stand auf. »Da können Sie lange warten. Auf Wiedersehen.« Er ging zur Tür. Shaw versuchte nicht, ihn aufzuhalten. Banks war schon fast draußen, da sagte Shaw: »War nur Spaß, Banks.« Banks drehte sich um. Shaw grinste. Dann wurde sein Gesichtsausdruck ernst. »Mensch, sind Sie empfindlich. Ich möchte nur, dass Sie wissen,
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