Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
ganz ordentlich gemacht, fand Banks, als er die winzigen Buchstaben entzifferte. Er hatte wirklich viele Filme gesehen, die er jeweils mit einem knappen Kommentar bedacht hatte. Das reichte von »Scheiße« und »Gähn!« über »Na ja« bis zu »Superklasse!« Ein typischer Eintrag las sich so: »Mit Dave und Graham im Odeon, Dr. Who und the Daleks, ging so. Im Park Cricket gespielt. Hab 32 Punkte gemacht, war nicht out.« Oder: »Regen. Zu Hause geblieben und Casino Royale gelesen. Superklasse!«
Banks blätterte zum 21. August, der Samstag vor Grahams Verschwinden. »Mit Graham in der Stadt. Von Onkel Kens Sammelmarken Help! gekauft.« Das war die Platte, die sie am nächsten Tag bei Paul gehört hatten. Mehr hatte er nicht geschrieben, nichts Ungewöhnliches über Grahams Verfassung. Am Freitag hatte er eine seiner Lieblingsgruppen, die Animals, in Ready, Steady, Go! gesehen.
Am Sonntag hatte er abends im Bett notiert: »Bei Paul Platten gehört. Neue LP von Bob Dylan. Bei Grahams Eltern war die Polizei.« Am Montag: »Graham ist von zu Hause abgehauen. Polizei war da. Joey ist weggeflogen.«
Interessant, dass er damals angenommen hatte, Graham sei fortgelaufen. Aber andererseits: So dachte man in dem Alter. Was auch sonst? Die Alternativen wären für einen Vierzehnjährigen zu schrecklich gewesen. Banks blätterte zurück bis Ende Juni, als die Sache am Fluss passiert war. Es war ein Dienstag gewesen, sah er nun. Er hatte nicht viel geschrieben: »Nachmittags Schule geschwänzt und am Fluss gespielt. Komischer Mann wollte mich reinschubsen.«
Müde legte Banks das Tagebuch weg, rieb sich die Augen und knipste das Licht aus. Es war sonderbar, in dem Bett zu liegen, in dem er in seiner Kindheit geschlafen hatte, das Bett, in dem er seine ersten sexuellen Erfahrungen mit Kay Summerville gemacht hatte, während seine Eltern am Samstag die Großeltern besuchten. Es war nicht gut gelaufen, weder für Banks noch für Kay, aber sie hatten nicht aufgegeben und waren mit der Zeit besser geworden.
Kay Summerville. Banks fragte sich, wo sie war, was aus ihr geworden war. Wahrscheinlich war sie verheiratet und hatte Kinder, so wie er selbst bis vor kurzem. Kay war wunderschön gewesen: langes blondes Haar, schlanke Taille, lange Beine, Lippen wie Marianne Faithfull, feste Brüste mit kleinen harten Brustwarzen und zwischen den Beinen Haare wie ein Goldgespinst. Herrgott, dachte er, Schluss jetzt mit diesen pubertären Fantasien.
Banks setzte den Kopfhörer auf und stellte den tragbaren CD-Spieler an. Zu den Klängen von Vaughan Williams' Second String Quartet machte er es sich mit angenehmen Gedanken an Kay Summerville gemütlich. Doch als die Schwelle des Schlafs näherkam, wurden seine Gedanken konfus, vermischten sich Erinnerung und Traum. Es war kalt und dunkel, Banks ging mit Graham über ein Rugbyfeld, die Torpfosten wurden vom Mond beschienen. Die Schritte der Jungen hinterließen spinnenwebartige Muster im Eis, ihr Atem stand in der Luft. Banks sagte, die Krays seien verhaftet worden - hatte er sich schon damals für Gangster interessiert? -, aber Graham lachte nur und erwiderte, solchen Leuten könne das Gesetz nichts anhaben. Banks fragte, woher er das wissen wolle, und Graham meinte, er hätte früher in der Nähe gewohnt. »Das waren Könige«, sagte er.
Verwirrt von dieser Eingebung, knipste Banks noch einmal die Nachttischlampe an und griff zum Tagebuch. Wenn das gerade keine Einbildung gewesen war, dann musste dieses Gespräch mit Graham im Winter stattgefunden haben. Banks überflog die Einträge von Januar und Februar 1965: Samantha Eggar, Yvonne Romain, Elke Sommer ... Die Krays wurden erst am 9. März erwähnt. Da stand: »Krays vor Gericht. Graham hat gelacht und gesagt, die kommen davon.« Das war dürftig, aber ein Anfang.
Banks machte das Licht wieder aus, und diesmal schlief er ohne weitere Gedanken an Graham oder Kay Summerville ein.
* 8
Am nächsten Morgen fuhr Banks nach Thorpe Wood und fragte nach Detective Inspector Hart. Er war erstaunt, als an Michelles Stelle ein Mann kam und ihn begrüßte. Die Nachricht, die seine Mutter ihm bei der Rückkehr vom Pub ausgerichtet hatte, war von Michelle gewesen.
»Mr. Banks, oder sage ich lieber Detective Chief Inspector Banks? Wenn Sie bitte mitkommen würden.« Der Mann trat zur Seite.
»Und Sie sind?«
»Detective Superintendent Shaw. Wir unterhalten uns in meinem Büro.«
Banks
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