Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
dies hier ist mein Revier, Sie können uns genauso wenig helfen wie damals. Sehen Sie zu, dass Sie zurück nach Yorkshire kommen, da können Sie Ihre Schafe poppen. Vergessen Sie Graham Marshall. Überlassen Sie das den Profis.«
»Beim letzten Mal haben die Profis auch Superarbeit geleistet«, sagte Banks und schlug die Tür hinter sich zu. Vor dem Polizeirevier trat er gegen einen Autoreifen und zündete sich eine Zigarette an. Dann stieg er in seinen Wagen. Er ärgerte sich, die Geduld verloren zu haben. Vielleicht hatte Shaw Recht, vielleicht war es am besten, er fuhr zurück. Er hatte noch mehr als eine Woche Urlaub und genug zu tun. Hier konnte er nichts mehr ausrichten. Banks saß noch eine Weile da und versuchte zu verstehen, was Michelle und Shaw ihm erzählt hatten. Er hatte also viele Jahre lang grundlos ein schlechtes Gewissen gehabt. McCallum konnte nichts mit Grahams Entführung zu tun haben, und so traf auch Banks keine Schuld. Andererseits wäre McCallum vielleicht gefasst und eingewiesen worden und nicht ertrunken, wenn Banks jenen Zwischenfall gemeldet hätte. Also doch schuldig?
Banks versetzte sich an jenen heißen Juninachmittag am Fluss zurück. Hätte McCallum ihn umgebracht? Die Antwort lautete: ja. Also zur Hölle mit dem Kerl und zur Hölle mit dem Schuldgefühl. McCallum war ein gefährlicher Irrer; es war nicht Banks' Fehler, dass er in den verdammten Fluss gefallen und ertrunken war. Ein Problem weniger.
Banks drehte »Crossroads« von Cream auf und fuhr mit Vollgas vom Polizeiparkplatz. Die Streifenwagen sollten sich hüten, ihm zu folgen.
Alle sahen müde aus, dachte Annie, als sich das Armitage-Team am späten Vormittag im Tafelzimmer des Western-Area-Präsidiums zusammenfand. Das Tafelzimmer hatte seinen Namen von dem langen glänzenden Tisch in der Mitte. Drumherum standen Stühle mit hohen Lehnen, an den Wänden hingen Gemälde von Baumwollbaronen aus dem neunzehnten Jahrhundert mit roten Gesichtern und hervorquellenden Augen. Wahrscheinlich waren die Kragen zu eng, dachte Annie. Künstlerisch gesehen waren die Gemälde unbedeutend, wenn nicht gar abscheulich, aber sie verliehen dem Raum eine gediegene Atmosphäre.
Detective Superintendent Gristhorpe saß am Kopfende und goss sich ein Glas Wasser ein. Des Weiteren waren anwesend: die Detective Constables Templeton, Rickerd und Jackman sowie Detective Sergeant Jim Hatchley, dem Annies Beförderung an ihm vorbei immer noch ersichtliches Unbehagen bereitete. Aber Banks hatte Annie mehr als einmal erklärt, Jim Hatchley sei der geborene Sergeant, und er war ein wirklich guter. Hatchley wusste so gut wie alles über die Unterwelt von Eastvale. Er hatte sich ein Netzwerk von Spitzeln aufgebaut, das nur seinem Netzwerk von Pubinhabern und Wirten nachstand. Alle behielten für ihn kriminelle Machenschaften im Auge, und Jims Müdigkeit war wohl auf den Umstand zurückzuführen, dass seine Frau vor zwei Wochen das zweite Kind zur Welt gebracht hatte. Die lästige Bewachung des Lösegeldes in der vergangenen Nacht hatten in erster Linie die drei Constables übernommen.
»Wir sind also noch nicht groß weiter«, begann Gristhorpe.
»Nein«, bestätigte Annie, die immerhin auf die Schnelle ein Glas in Relton getrunken, zu Hause gebadet und einige Stunden geschlafen hatte, bevor sie kurz nach Tagesanbruch wieder zum Revier gefahren war. »Wir haben bei der Telefongesellschaft nachgefragt und die Liste von Lukes Anrufen bekommen. Wir werden alle Leute befragen, die er im letzten Monat angerufen hat. Es sind nicht viele. Die Lösegeldforderung an Martin Armitage war der einzige Anruf nach Lukes Verschwinden, der einzige Anruf an dem Tag, und er kam aus der Nähe. Wir wissen nicht, wo Luke ist, aber weit weg ist er nicht. Jedenfalls war er am Dienstagabend in der Nähe.«
»Noch was?«
»Wir haben eine ziemlich genaue Vorstellung von Lukes Tagesablauf bis halb sechs an dem Tag, als er verschwand.«
»Und zwar?«
Annie ging zum Flipchart und notierte die Zeiten und Orte. Sie kannte sie auswendig, musste nicht im Notizbuch nachschlagen. »Um Viertel vor drei war er an der Bushaltestelle vor dem Swainsdale Center. Busfahrer und mehrere Fahrgäste erinnern sich an ihn. Wir haben uns die Filme aus den Überwachungskameras angesehen. Eine Zeit lang ist er im Einkaufszentrum herumgelaufen, war bei W. H. Smith, dann bei HMV, hat aber scheinbar nichts gekauft. Das dauerte ungefähr bis halb vier. Um
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