Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
Beerdigung. Dazu eine Art Gedenkgottesdienst. Sie haben gesagt, sie hätten gerne so etwas wie einen Schlusspunkt. Ich ruf sie an und richte ihnen aus, dass sie alles in die Wege leiten können.«
»Ist doch komisch, oder?«, sagte Dr. Cooper. »Ein Schlusspunkt. Als ob die Schmerzen ein Ende hätten, wenn man jemanden beerdigt oder einen Verbrecher ins Gefängnis steckt.«
»Ist aber trotzdem sehr menschlich, finden Sie nicht?«, gab Michelle zurück. Für sie hatte sich kein Abschluss einstellen wollen, auch wenn sie es noch so verzweifelt versucht hatte. »Wir brauchen Rituale, Symbole, Zeremonien.«
»Ist wohl so. Aber was ist hiermit?« Dr. Cooper wies auf die Rippe auf der Laborbank. »Die könnte letztendlich sogar als Beweisstück vor Gericht taugen.«
»Nun«, sagte Michelle, »ich glaube nicht, dass es die Marshalls stört, wenn Graham mit einer Rippe weniger beerdigt wird, oder? Schon gar nicht, wenn es uns helfen könnte, den Mörder zu finden.«
»Schön«, sagte Dr. Cooper. »Ich werde heute Nachmittag mit dem Coroner sprechen und bis dahin versuchen, Hilary ausfindig zu machen.«
»Danke«, sagte Michelle. Sie warf einen letzten Blick auf die Gebeine auf dem Tisch, die dort zu einem menschlichen Skelett zusammengefügt lagen. Dann betrachtete sie noch einmal kurz die einzelne Rippe auf der Laborbank. Seltsam, dachte Michelle. Eigentlich waren es nur alte Knochen, aber sie konnte nichts dagegen tun: Unweigerlich maß sie ihnen eine tiefere Bedeutung zu, Adams Rippe kam ihr in den Sinn.
Dämlich, sagte sie sich. Aus Graham Marshalls Rippe wird niemand eine Eva formen; aber mit ein bisschen Glück würde ihr Dr. Hilary Wendell etwas über das Messer sagen können, mit dem der Junge getötet wurde.
Ein starker Nordwind hatte dunkle Wolken herangetrieben. Es sah aus, als würde der Regen einen weiteren schönen Sommertag verderben. Am späten Nachmittag fuhr Banks in seinem eigenen Wagen zum Fundort von Luke. In seinem Kassettendeck lief »Songs from a Black Room«.
Es waren nur fünf kurze Lieder, deren Texte nicht besonders ausgefeilt waren; mehr war von einem Fünfzehnjährigen mit einem Hang zu kryptischer Lyrik auch nicht zu erwarten. Das waren keine vertonten Gedichte von Rimbaud oder Baudelaire, das war pure, unverfälschte, jugendliche Zukunftsangst. »Everybody hates me, but I don't care./I'm safe in my black room, and the fools are out there.« Aber immerhin waren es Lukes eigene Lieder. Mit vierzehn hatte Banks sich mit Graham, Paul und Steve zu einer epigonalen Rockband zusammengeschlossen, aber es hatte nur zu Coverversionen der Beatles und Stones gereicht. Keiner von ihnen hatte das Bedürfnis oder das Talent gehabt, eigene Texte zu schreiben.
Lukes Musik war unausgereift und voller Schmerz. Man hatte das Gefühl, als taste er herum, suche nach einer Stimme, nach seiner Stimme. Er versteckte sich hinter der elektrischen Gitarre und griff gelegentlich auf Spezialeffekte wie Fuzz und Wahwah zurück, meistens aber hielt er sich an die schlichten Akkorde, die Banks noch von seinen eigenen stümperhaften Versuchen kannte. Auffällig war, wie stark Lukes Stimme der seines Vaters ähnelte. Sie hatte das gleiche Volumen, auch wenn Luke noch nicht zu den tiefsten Tönen herunterkam. Und er hatte das Timbre seines Vaters, wehmütig und lebensmüde, vielleicht sogar ein wenig zornig, gereizt.
Ein Lied fiel aus dem Rahmen, eine ruhige Ballade mit einer Melodie, die Banks bekannt vorkam, vielleicht war sie einem Volkslied nachempfunden. Es war das letzte Stück auf der Kassette, eine Art Liebeslied, oder ein Song über das, was sich ein Fünfzehnjähriger unter Erlösung vorstellte:
Er schloss mich aus, du nahmst mich auf.
Er ist das Dunkel, du das Licht.
Du musst nicht bleiben, doch du willst.
Warum nur? Oh, verlass mich nicht.
Handelte das Lied von seiner Mutter, von Robin? Oder von dem Mädchen, mit dem ihn Josie im Swainsdale Centre gesehen hatte? Annie war mit Winsome Jackman und Kevin Templeton unterwegs und zeigte die Phantomzeichnung herum. Vielleicht hatten sie Glück.
Der Erkennungsdienst war noch am Hallam Tarn, die Straße war abgesperrt. Ein Einsatzwagen des Lokalfernsehens und eine aufgeregte Schar von Reportern missachtete immer wieder den Sicherheitsabstand. Als Banks am Straßenrand hielt, entdeckte er sogar zwei Damen mittleren Alters in Wanderkleidung; zweifellos Katastrophentouristen. Stefan Nowak hatte Dienst,
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